© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 43/23 / 20. Oktober 2023

Herrschaft des Verdachts
Verfassungswidrig soll der AfD-Stiftung staatliche Förderung verweigert werden
Dietrich Murswiek

Es geht um viel Geld – und um politischen Einfluß. Rund 700 Millionen Euro erhalten die Parteien-Stiftungen jährlich aus dem Bundeshaushalt, davon zuletzt 148 Millionen Euro als „Globalzuschüsse zur gesellschaftspolitischen und demokratischen Bildungsarbeit“. Davon bekommen etwa die Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU rund 45 Millionen oder die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen rund 18 Millionen. Nur der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) der AfD haben die übrigen Parteien mit ihrer Mehrheit im Haushaltsausschuß des Bundestages die Teilhabe an der staatlichen Finanzierung verweigert. Das war laut Bundesverfassungsgericht verfassungswidrig, weil für die Stiftungsfinanzierung und für den Ausschluß der DES eine gesetzliche Grundlage fehlt. 

Diese Grundlage soll jetzt mit dem Stiftungsfinanzierungsgesetz geschaffen werden, über das der Bundestag zur Zeit berät. Der von allen Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der AfD und der Linken eingebrachte Gesetzentwurf ist so formuliert, daß es für die Parlamentsmehrheit ein leichtes ist, auch künftig die DES von der Finanzierung auszuschließen. Dieser Ausschluß benachteiligt nicht nur die DES, sondern auch die ihr nahestehende AfD. Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, daß der Ausschluß einer parteinahen Stiftung von der Förderung zu erheblichen Wettbewerbsnachteilen für die betroffene politische Partei führt und daher grundsätzlich mit dem Prinzip der Chancengleichheit der politischen Parteien unvereinbar ist. Allerdings gibt es eine Ausnahme: Ein Eingriff in die Chancengleichheit – so die Karlsruher Richter – lasse sich rechtfertigen, wenn er dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO) dient.

Das ist im Ansatz einleuchtend: Der Staat soll nicht eine Organisation finanzieren müssen, die sich gegen die Verfassungsgrundlagen richtet. Die Frage ist allerdings: Wer stellt es fest, ob eine Stiftung sich gegen die FDGO richtet? Bleibt diese Entscheidung – wie bei den politischen Parteien – dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten? Muß die Frage der Verfassungsfeindlichkeit vor dem Ausschluß von der Förderung rechtskräftig gerichtlich geklärt werden? Oder entscheidet der Bundestag beziehungsweise sein Haushaltsausschuß oder das zuständige Ministerium – mit der Folge, daß die Stiftung bis zum Ende eines eventuell ein Jahrzehnt dauernden Prozesses ausgeschlossen bleibt? 

Die Autoren des Gesetzentwurfs haben sich für letzteres entschieden – für ein Verfahren, mit dem sie über Jahre die DES und indirekt die AfD benachteiligen können, auch wenn sich die DES letztlich gerichtlich gegen den Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit durchsetzt. 

Damit begnügen sich die Gesetzesinitiatoren nicht. Sie wollen einer Stiftung die Fördermittel schon dann versagen, wenn sie vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft worden ist: Auf Verdacht hin wird eine schwerwiegende Sanktion verhängt und die Chancengleichheit der betroffenen Partei schwerwiegend beeinträchtigt. 

Bislang ist die DES hiervon nicht betroffen, denn sie wird vom Verfassungsschutz bisher nicht – auch nicht als Verdachtsfall – beobachtet. Käme es allein auf dieses Kriterium an, müßte ein Förderantrag der DES zwar nicht sofort, aber nach der nächsten Bundestagswahl Erfolg haben. Der Entwurf verlangt, daß die Partei dreimal in Folge im Bundestag vertreten ist. 

Um diesen Erfolg zu verhindern, haben die den Entwurf tragenden Fraktionen eine Lösung konstruiert, die den Ausschluß der DES mit Sicherheit gestatten wird, wenn nicht zuvor das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes feststellt. Die Lösung besteht darin, daß eine Stiftung nicht nur dann von der Förderung ausgeschlossen wird, wenn sie verfassungsfeindliche Ziele verfolgt oder jedenfalls vom Verfassungsschutz solcher Ziele verdächtigt wird, sondern schon dann, wenn sie nicht „in einer Gesamtschau die Gewähr (bietet), für die FDGO sowie für den Gedanken der Völkerverständigung aktiv einzutreten“. 

Kein Problem für die DES, da sie ja – nach eigenem Verständnis – aktiv für die FDGO eintritt? Oh doch, denn der Gesetzentwurf bejaht eine mangelnde „Gewähr“ bereits anhand derart unbestimmter, weich formulierter Kriterien, daß sich immer ein Grund finden wird, die Erfüllung eines dieser Kriterien zu bejahen. 

Beispielsweise soll es ausreichen, daß ein Teil der bisherigen Stiftungsarbeit nicht der Förderung der FDGO diente. Vieles, was Stiftungen machen, bezieht sich thematisch nicht auf die FDGO, fördert sie also auch nicht. Das wird man den etablierten Stiftungen nicht vorwerfen, bietet aber einen Hebel, die DES draußen vor zu lassen. Auch „Veröffentlichungen, deren Inhalte die Erwartung begründen“, daß die Stiftungsarbeit nicht die FDGO fördert, oder „die Mitwirkung, Beschäftigung oder Beauftragung von Personen“, die verfassungsfeindlicher Bestrebungen verdächtig sind, sollen den Ausschluß begründen. 

Diese Regelungen sind ein neues Element einer mit dem Demokratie- und dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbaren Herrschaft des Verdachts. Zur Verteidigung der FDGO sind sie nicht nötig, zumal ja die Finanzierung beendet werden kann, wenn sich herausstellen sollte, daß Steuermittel zu verfassungsfeindlichen Zwecken verwendet werden. 

Es ist ein wesentlicher Unterschied, ob der Staat Finanzzuwendungen für politische Bildungsarbeit vom aktiven Eintreten der Empfänger für die FDGO abhängig macht, oder ob er als Voraussetzung der Zuwendungen ein Verhalten verlangt, das vernünftige Zweifel an der künftigen Erfüllung dieser Erwartung ausschließt. Ein „Gewährbieten“ kann der Staat von Bewerbern um eine Beamtenstelle verlangen, nicht aber von jedem Bürger und von politischen Parteien – schon gar nicht, wenn es an hinreichend bestimmten Kriterien hierfür fehlt. Der Ausschluß von der Finanzierung auf der Basis verdachtsgestützter Prognosen ist unverhältnismäßig und verfassungswidrig. 






Prof. Dr. Dietrich Murswiek, Jahrgang 1948, ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg. Er beriet die  AfD rechtlich in Sachen Verfassungsschutz.