Nun hat er mich gesehen. Er hat mich in der Menschenmenge ausgemacht. Der Bettler kommt zielstrebig auf mich zu. Eigentlich bin ich eher selten Zielscheibe, ich gehöre nicht zum typischen Beuteschema. Auch Schnorrer und lästige Straßenhändler drehen bei mir in der Regel ab und suchen sich leichtere Opfer.
Doch ich falle auf, man erkennt mich als Ausländer. Noch mehr dürfte aber mein großer Rollkoffer ins Auge gesprungen sein. Wer so etwas durch die Gegend schieben muß, ist langsam und ein wenig hilflos. Ich kann auch nicht von dannen eilen, die Fußgängerampel steht immer noch auf Rot. Autos flitzen an mir vorbei, es geht nicht, ich kann nicht über die Straße.
Der Tonfall des Bettlers verändert sich plötzlich, das Flehen ist einem Fordern gewichen.
Der Schwarze ist nicht alt, aber ihm fehlen ein paar Zähne. Er fleht mich geradezu an, ihm zu helfen, nur ein bißchen, jeder Betrag wäre recht. Er sagt es mehrfach. Sein Verhalten ist anders, als man es normalerweise kennt auf der Straße. Es rührt mich irgendwie schon, der Mann muß wirklich verzweifelt sein. Ich stocke, wende mich ihm zu. Jetzt hat er mich am Haken, Bettler kennen diese Situation. Sie wittern ihre Chance, sie sind auch Psychologen.
Warum soll ich ihm nicht eine Freude machen? Ich bin wohlhabend, im Vergleich zu diesem armen Menschen. Natürlich weiß ich, wofür die Spende sehr häufig benötigt wird. Es wird wohl eher nicht Brot oder eine Tasse Kaffee dafür gekauft werden. Aber ich habe heute noch keine richtig gute Tat auf meinem Pfadfinderkonto. Also ziehe ich ohne groß zu kramen einen Geldschein heraus und drücke ihm den Schein in die Hand. Umgerechnet ist es etwa ein Euro.
Der Tonfall des Bettlers verändert sich plötzlich, das Flehen ist einem eher fordernden Ton gewichen. „Vielleicht etwas mehr?“ fragt er auf englisch. Ich schüttele den Kopf und bin etwas enttäuscht. Hätte ich es mal besser sein gelassen, denke ich.
Endlich springt die Fußgängerampel auf Grün. Ich gehe los, so etwas wie „Geizhals“ zischt der Bettler hinter mir her. Fast möchte ich mich nochmal umdrehen, ich könnte ihm jetzt ein paar kurze Takte sagen, lasse es aber dann. Mein Bedarf an guten Taten ist jedenfalls fürs erste gedeckt.