© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

„Eine strukturelle Sünde“
Papst Franziskus verkündet die „globale Klimakrise“ / Kein Zweifel mehr und ein Appell an „Menschen guten Willens“
Jörg Fischer

Auf dem diesjährigen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg wurde die „Politik im Bund, den Ländern, Landkreisen und Kommunen“ in einer Resolution unter dem Titel „Den Pariser Klimavertrag ohne Wenn und Aber umsetzen!“ aufgefordert, „Protestaktionen des zivilen Ungehorsams für mehr Klimaschutz und das Einhalten von Gesetzen und Verträgen nicht ungerechtfertigt zu kriminalisieren und sich dem Dialog mit gesprächsbereiten Aktivist:innen zu stellen“. Die Berliner Glaubenskirche in Tempelhof veranstaltete am 24. September einen „Alternativen Gottesdienst“ für die Konfirmanden, zu dem nicht nur die Aktivistin Ann-Kathrein Gräning („Klimaschutz mit Spaß“), sondern auch „Referent*innen“ der Letzten Generation (LG) eingeladen waren.

Eine hauptstädtische Skurrilität, sind doch von den 3,8 Millionen Einwohnern nur noch eine halbe Million (13,3 Prozent) evangelisch. Deutschlandweit sind es noch 19,2 Millionen – weniger als die Katholiken, die noch 20,9 Millionen zählen. Global gesehen sind letztere mit 1,35 Milliarden Gläubigen – Tendenz steigend – aber die größte Konfession. Und am 4. Oktober wurden sie ebenfalls ungefragt in die grüne „Klimakirche“ aufgenommen. Wegen der Unfehlbarkeit des Papstes ist dies wirklich eine Zäsur mit unabsehbaren Auswirkungen.

Denn acht Jahre nach seiner 222seitigen Enzyklika „Laudato si’“ (Gelobt seist du) hat sich Papst Franziskus erneut zu Umweltthemen geäußert. In seinem Apostolischen Schreiben „Laudate Deum“ (Lobt Gott) an „alle Menschen guten Willens“ spricht der 86jährige Pontifex nicht mehr wie 2015 vom „Klimawandel“ und einem „gemeinschaftlichen Gut“, das „auf globaler Ebene ein kompliziertes System“ sei, sondern wie die LG, „Fridays for Future“, Leitmedien und Grüne von einer „Klimakrise“. Damals wurden ausdrücklich noch andere klimaverändernde Faktoren erwähnt: „der Vulkanismus, die Änderungen der Erdumlaufbahn und der Erdrotationsachse, der Solarzyklus“. Nun werden nur noch „Vulkanausbrüche“ genannt.

Starkregen, extreme Hitze, Dürre und andernorts starke Schneefälle

Inzwischen sei ihm klargeworden, daß „wir nicht genügend reagieren, während die Welt, die uns umgibt, zerbröckelt und vielleicht vor einem tiefen Einschnitt steht“. Es bestehe kein Zweifel daran, daß „die Auswirkungen des Klimawandels das Leben vieler Menschen und Familien zunehmend beeinträchtigen werden. Wir werden seine Folgen unter anderem in den Bereichen der Gesundheit, der Arbeitsplätze, des Zugangs zu den Ressourcen, des Wohnraums und der Zwangsmigration spüren“, so Papst Franziskus. Zwar könne „nicht jede einzelne Katastrophe automatisch auf den globalen Klimawandel zurückgeführt werden“, jedoch sei „nachweisbar, daß bestimmte von der Menschheit verursachte Veränderungen des Klimas die Wahrscheinlichkeit immer häufigerer und intensiverer Extremereignisse deutlich erhöhen“.

Der Papst verweist ausdrücklich auf das von Bischöfen im Oktober 2022 in Nairobi beschlossene „African Climate Dialogues Communiqué“, wonach der Klimawandel „ein schockierendes Beispiel für eine strukturelle Sünde“ darstelle. 2015 wurden noch keine konkreten Temperatur- oder CO₂-Anstiege genannt – nun werden die jüngsten Berichte des Weltklimarats (IPCC; „Climate Change 2021: The Physical Science Basis“) zur Glaubenslehre erklärt, denn danach wisse man, daß „mit jedem Anstieg der globalen Temperatur um 0,5 Grad Celsius auch die Intensität und Häufigkeit von starken Regenfällen und Überschwemmungen in einigen Gebieten und schweren Dürren in anderen zunehmen; ebenso kommt es in einigen Regionen vermehrt zu extremer Hitze und andernorts zu starken Schneefällen“. Und „was wird dann bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad Celsius geschehen, dem wir uns nähern“, fragt der Papst. „Bei einem Anstieg von mehr als zwei Grad würden die Eisschilde Grönlands vollständig schmelzen und ein Großteil der Antarktis – mit enormen und sehr ernsten Folgen für alle“, heißt es nun unter Bezug auf die Kurzfassung des IPCC-Reports „Climate Change 2023“.

Franziskus rechnet auch mit den Skeptikern der „globalen Klimakrise“ innerhalb der Kirche ab: „Wie sehr man auch versuchen mag, sie zu leugnen, zu verstecken, zu verhehlen oder zu relativieren, die Anzeichen des Klimawandels sind da und treten immer deutlicher hervor.“ Auf der Erde habe es zwar schon immer Phasen der Abkühlung und Erwärmung gegeben, aber was wir jetzt erleben, sei „eine ungewöhnliche Beschleunigung der Erwärmung“. Extreme Kälteeinbrüche und andere außergewöhnliche Symptome seien „lediglich alternative Ausdrucksformen“ des „globalen Ungleichgewichts, das durch die Erderwärmung verursacht wird“. Bestimmte „apokalyptische Diagnosen erscheinen oft wenig vernünftig“, aber „kleine Veränderungen können aufgrund der Trägheitsfaktoren große, unvorhergesehene und vielleicht bereits unumkehrbare Veränderungen auslösen“, warnt der Papst.

Einen direkten Zusammenhang zwischen Klimawandel und der Bevölkerungsexplosion auf acht Milliarden Menschen gebe es hingegen nicht: „Es mangelt nicht an Personen, die in einer sehr vereinfachenden Sicht der Wirklichkeit die Armen beschuldigen, zu viele Kinder zu haben, und die sogar versuchen, das Problem zu lösen, indem sie die Frauen in weniger entwickelten Ländern verstümmeln“, so Franziskus. „Aber die Wirklichkeit ist, daß ein kleiner Prozentsatz der Reichsten auf der Erde die Umwelt mehr verschmutzt als die ärmsten 50 Prozent der gesamten Weltbevölkerung und daß die Pro-Kopf-Emissionen der reichsten Länder um ein Vielfaches höher sind als die der ärmsten.“

Mehr als 42 Prozent der gesamten CO₂-Nettoemissionen seit 1850 seien nach 1990 erfolgt – doch das dürfe nicht mehr so weitergehen, „wenn wir bedenken, daß die Emissionen pro Person in den Vereinigten Staaten ungefähr doppelt so hoch sind wie die eines Einwohners von China und circa siebenmal so hoch wie der Durchschnitt der ärmeren Länder“, so der Papst. Nötig sei daher „eine umfassende Veränderung des unverantwortlichen Lebensstils, der mit dem westlichen Modell verbunden ist“ – sprich: Wohlstandsverzicht. Das kommt allerdings nicht nur bei emissionssündigen und konsumhungrigen Amerikanern und Chinesen schlecht an.

Deswegen waren bei der „Laudate Deum“-Pressekonferenz in den Vatikanischen Gärten nur vier verwöhnte „Westler“ auf dem Podium, um für „große Transformationsprozesse“ zu werben: das evangelische „Fridays for Future“-Aushängeschild Luisa Neubauer, der italienische Physiknobelpreisträger Giorgio Parisi von der römischen Universität La Sapienza (wo 2008 eine Vorlesung von Benedikt XVI. verhindert wurde), der New Yorker Vegetarier und Verzichtsautor Jonathan Safran Foer („We Are the Weather: Saving the Planet Begins at Breakfast“) und Vatikansprecher Matteo Bruni.

„Laudate Deum – Nachsynodales Apostolisches Schreiben über die Klimakrise“:

 www.vatican.va

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