Die Panzerfaust ist Deine Pak! Du kannst mit ihr jeden Panzer auf eine Höchstentfernung von 150 Meter abschießen. Je näher Du ihn aber herankommen läßt, um so sicherer erledigst Du ihn.“ So steht es auf einer Bedienungsanleitung für die Panzerfaust 100. Einschließlich der Aufforderung, das Merkblatt „richtig“ zu lesen, „dann kann Dir, wenn es drauf ankommt, nichts passieren“.
Vielleicht war die Panzerfaust tatsächlich eine Art Wunderwaffe, die einzige des Deutschen Reiches, die ausgereift und bis Kriegsende immer wieder verbessert, den Frontsoldaten erreichte. Die ersten 8.700 wurden im August 1943 produziert. In nennenswerten Stückzahlen kam die Panzerabwehrwaffe im Herbst 1943 an die Front, nachdem im Oktober die Massenproduktion angelaufen war. 6,7 Millionen Rohre wurden bis Frühjahr 1945 produziert. Die Kosten pro Stück lagen zwischen 25 und 30 Reichsmark.
Die Neuentwicklung sollte die langläufigen, großkalibrigen Panzerbüchsen 38 und 39 ersetzen, die sich zunehmend gegen die moderneren sowjetischen Panzer als untauglich erwiesen. Bereits im Frühjahr 1942 war die Situation an den Fronten alarmierend. Die deutsche Infanterie hatte wenig aufzubieten, um die massenhaft auftretenden Panzer des Gegners auszuschalten. Im Sommer wurde daher die Hugo Schneider Aktiengesellschaft (Hasag) in Leipzig beauftragt, für spezielle Panzervernichtungseinheiten eine leistungsstarke Abstandswaffe zu konstruieren und herzustellen.
Sie sollte von einem Mann getragen und bedient werden und das von den Deutschen bereits mit großem Erfolg eingesetzte Prinzip der Hohlladung nutzen. Den Auftrag übernahm Heinrich Langweiler, der als erstes Modell die „Faustpatrone klein, 30 m“ vorlegte. Die rückstoßfreie Waffe wog 3,2 Kilogramm und hatte eine Länge von 985 Millimetern. Eine 54 Gramm schwere Treibladung schoß den 360 Millimeter langen Kopf aus dem 800 Millimeter langen Rohr. Die Faustpatrone wurde am ausgestreckten Arm gehalten und per Abzug entzündet. Daraufhin flog eine 400 Gramm schwere Hohlladung, stabilisiert durch am Holzschaft angebrachte, sich nach Abschuß entfaltende Leitwerksflächen, mit einer Geschwindigkeit von 28 Metern in der Sekunde auf das Ziel zu und sollte etwa 140 Millimeter Panzerung durchschlagen können.
Diese Faustpatrone besaß noch keine Visiereinrichtung, und die Geschosse rutschten häufig von den schrägen Panzerplatten ab. Dazu kam die geringe Reichweite von maximal 30 Metern. Diese Mängel wurden schnell ausgeglichen und aus der Faustpatrone die Panzerfaust mit einem 3,3 Kilo schweren Gefechtskopf entwickelt. Abgeschossen wurde sie entweder von der Schulter oder unter der Schulter, eingeklemmt zwischen Oberarm und Rumpf. Auch das war für die Soldaten ein Lernprozeß. In den erfolgreichen Spielfilm „Der unbekannte Soldat“ über den Kampf der Finnen gegen eine sowjetische Übermacht zeigt eine Szene, wie ein Soldat zum Entsetzen seines Lehrausbilders die Panzerfaust vor dem Abfeuern gegen seinen Unterleib drückt, bevor er abfeuert. Zwar explodiert der Russenpanzer, aber auch der Finne stirbt durch den nach hinten austretenden starken Feuerstrahl. Vor diesem warnten auch werkseitig aufgebrachte Aufkleber auf Rohr und Gefechtskopf. Aus den letzten Kriegsmonaten stammt der böse Witz, nach dem an der Ostfront der Einsatz von Panzerfäusten verboten worden sei, um die Kameraden an der Westfront nicht zu verletzen.
Zum Einsatz kamen die Panzerfäuste ab Herbst 1943. Hatten die ersten Panzerfäuste lediglich eine Reichweite von 30 bis 60 Metern, so steigerten verbesserte Modelle diese bis 200 Meter (Panzerfaust 150). Die Alliierten erbeuteten 1945 Pläne zur Panzerfaust 250, die dank ihrer verbesserten Treibladung Panzer bis auf 300 Meter abschießen konnte. Die Sowjets entwickelten aus diesem Entwurf die RPG-2, die Bundeswehr später ihre erste eigene Panzerfaust.
Dramatische Verluste an Panzern durch Nahkampfmittel
Eine erhaltene Statistik gibt einen Überblick über die zwischen Januar und April 1944 an der Ostfront abgeschossenen Sowjet-Panzer. Im Januar waren das durch Panzerfäuste 58, in den Folgemonaten 45 und 51 sowie im April schließlich 110. Parallel dazu wurden durch den Panzerschreck (Ofenrohr) – eine nach dem Vorbild der bei den Kämpfen in Tunesien 1942/43 erbeuteten amerikanischen Raketenbüchse „Bazooka“ entwickelte Waffe – neun, 24, 29 und 26, durch Hafthohlladungen 21, 13, 14 und 19, durch Handgranaten insgesamt 22 und durch T-Minen 78 Panzer vernichtet. Allerdings geht aus anderen Statistiken hervor, daß im Januar 1944 die Panzerabschüsse durch Panzerfäuste keine zwei Prozent ausmachten. Die meisten Kampfwagen des Gegners wurden durch Panzer, Jagdpanzer und Sturmgeschütze vernichtet.
Auch die Sowjets fürchteten die neue, höchst effektive Panzervernichtungswaffe. Obwohl ihre Fabriken unentwegt Panzer produzierten, waren für Moskau die Verluste an Kampfwagen durch Nahkampfmittel so dramatisch, daß sie den Einsatz der Panzer änderte. Diese wurden zum Schutz gegen Panzerfäuste mit einem schützenden Gürtel von Infanteristen auf 100 bis 200 Metern gesichert.
Gegen Kriegsende bildete die Wehrmacht spezielle Trupps, die durchgebrochene Panzer vernichten sollten. Gleichzeitig zeigten Wochenschau und die verbliebenen Zeitungen Greise, Frauen und Kinder, wie sie das scheinbar kinderleichte Abschießen von Feindpanzern mit der Panzerfaust übten. Als die Amerikaner gegen Leipzig vorrückten, waren die die Stadt verteidigenden Luftwaffen- und Volks-sturmeinheiten vor allem mit Panzerfäusten ausgerüstet. Von den im Endkampf um Berlin zerstörten rund 2.000 Panzern, wurden nach sowjetischen Angaben etwa 700 durch Panzerfäuste getroffen.
Foto: Deutscher Panzergrenadier an der Ostfront zerstört 1944 mit einer Panzerfaust einen russischen T-34-Panzer: Die einzige Wunderwaffe, die massentauglich Anwendung fand