© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Sie küßten und sie fetzten sich
Kino: Margarethe von Trotta hat die Haßliebe zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch verfilmt. Ein Hingucker
Dietmar Mehrens

Als die Eifersucht verteilt wurde, muß Max Frisch wohl zweimal „hier!“ geschrien haben. Das ist jedenfalls das Bild von dem Schweizer Schriftsteller, das Ausnahmeregisseurin Margarethe von Trotta in ihrer Version der von beträchtlichen Stimmungsschwankungen beherrschten Beziehung zwischen dem Autor von „Homo faber“ und „Andorra“ und der begnadeten Lyrikerin vermittelt.

Der Film setzt ein im Jahr 1958. Frisch lebt getrennt von Frau und Kindern. „Seit ich ‘Der gute Gott von Manhattan’ gehört habe, wußte ich, daß ich Sie kennenlernen muß“, becirct der berühmte Dramatiker seine mit Hörspielen erfolgreiche Kollegin aus Österreich, nachdem beider Wege sich anläßlich einer Theateraufführung in Paris gekreuzt haben. „Ich habe Angst vor der Versteinerung“, bekennt ihr Max Frisch (Ronald Zehrfeld) schon gleich am Anfang ihrer Beziehung. Und Ingeborg Bachmann (Vicky Krieps) erkennt sogleich: „Sie wollen erlöst werden.“ Der Dialog ist zugleich ein Prolog. Der Prolog für eine Liebesgeschichte, in der die Erwartungen des Mannes durch das, was die Frau zu geben imstande ist, niemals erfüllt werden können – eine Inkongruenz, die Margarethe von Trotta zum Hauptthema ihres Films macht.

Ausdrucksstarke Bilder für das verflossene Leben

Kurz nach der Begegnung an der Seine klingelt bei Bachmann das Telefon: „Sie müssen kommen“, fleht Max Frisch die 32jährige an. „Ich kann sonst nicht mehr schreiben.“ Früh ahnt sie: Dieser Mann wird sie unglücklich machen. Sie werden trotzdem ein Paar, teilen im Haus Max Frischs in Uetikon, idyllisch gelegen mit Blick auf den Zürichsee, Tisch und Bett. Doch die Dichterin hält es irgendwann in der Schweiz nicht mehr aus. Frischs Ein-Finger-Tippsystem beim Schreiben an der Maschine raubt ihr den letzten Nerv. Ihre Nerven sind überhaupt nicht die besten. Rom sei die Stadt, in der sie aufblühe, läßt sie ihren Lebensabschnittsgefährten wissen. Eine Zeitlang lebt das Paar in der italienischen Metropole. Frisch bleibt nicht verborgen, was seine Muse noch nach Rom zog. Sie hat in der Ewigen Stadt noch einen Verehrer: den Komponisten Hans Werner Henze (Basil Eidenbenz). Er quält sie mit Verhören. Selbst ein Presse-Interview kann Anlaß zu den schlimmsten Verdächtigungen sein. Schließlich macht er ihr einen Heiratsantrag. Ihre Reaktion ist ernüchternd: „Die Ehe ist eine unmögliche Institution für eine Frau, die denkt und arbeitet!“

 Margarethe von Trotta, Deutschlands bedeutendste Regisseurin, findet wie auch in ihren früheren Frauenporträts ausdrucksstarke Bilder für das verflossene Leben, das sie filmisch wieder auferstehen läßt. Ihr Film lebt von seiner exzellenten Bildgestaltung – gedreht wurde unter großem Aufwand in sechs Ländern – und vom starken Spiel der Hauptdarsteller. Allerdings muß man bereit sein, sich auf Vicky Krieps in der Rolle der Bachmann einzulassen. Die Luxemburgerin ist zwar extrem wandlungsfähig, aber ein völlig anderer Typ als die Büchner-Preisträgerin, nach der inzwischen ein eigener Literaturpreis benannt ist.

Die erste Szene von „Ingeborg Bachmann – Reise in die Wüste“ zeigt die Protagonistin, wie sie einen dunklen Gang durchschreitet. Sie geht dem Läuten eines Telefons nach, eine spielerische Variation des Anfangs von „Rosa Luxemburg“ (1986), Trottas ambitioniertem Film über die ermordete Spartakus-Aktivistin mit Barbara Sukowa in der Titelrolle: Dort wandelte die Heldin allein die Wand eines verschneiten Gefängnishofs entlang. Die Montagetechnik, die bereits in dem Porträt der kommunistischen Ikone zum Einsatz kam, hat von Trotta verfeinert. Konsequent folgt sie im ausbalancierten Wechsel ihren zwei Haupterzählsträngen: der Liebes- und Leidensgeschichte Ingeborg Bachmanns an der Seite von Max Frisch und der Reise in die Wüste, der der Film seinen Untertitel verdankt. Gemeinsam mit ihrem neuen Freund, dem Publizisten Adolf Opel (Tobias Resch), reist die gebürtige Klagenfurterin nämlich ein paar Jahre später durch Ägypten und versucht die Gespenster einer belastenden Vergangenheit abzuschütteln.

Eine verstörende Gruppensexszene offenbart die dunkle Seite der Frau, die 1973 im Alter von nur 47 Jahren unter tragischen Umständen ums Leben kam. Doch es ist eine Seite, die von Trotta, ganz im Sinne ihres orthodox feministischen Ansatzes, stets beschönigend, gleichsam im Affirmationsmodus zu zeigen versucht. Die Autorin und Regisseurin, die Frauen faszinieren, die selbstbewußt ihren Weg bis zum bitteren Ende gegangen sind – Sophie Scholl, Rosa Luxemburg, Hannah Arendt –, degradiert Max Frisch zum notorischen Nörgler, zum beziehungsunfähigen Macho und sonderbaren Sorgenkind, während die Neurosen und Exzesse seiner Partnerin als Beziehungskiller kaum eine Rolle spielen. Lediglich ihre Nikotinsucht beschönigt der Film nicht: Die Frau hängt ständig an der Fluppe!

Man mag folglich so manche Interpretation der historischen Ereignisse, die die Regisseurin dem Zuschauer zumutet, innerlich zurückweisen, doch an der Eleganz, mit der sie ihre Version der Geschichte in Bilder kleidet, ändert das nichts.