© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Thalers Streifzüge
Thorsten Thaler

Die Frankfurter Buchmesse (18. bis 22. Oktober) wirft ihre Schatten voraus. Sprecherin auf der Eröffnungspressekonferenz für Medienvertreter am kommenden Dienstag ist die britische Umweltjournalistin und Sachbuchautorin Gaia Vince. Ihr aktueller Buchtitel lautet: „Das nomadische Jahrhundert. Wie die Klima-Migration unsere Welt verändern wird“. Ihre Botschaft: Migration ist nicht das Problem, sie ist die Lösung. Wir müßten uns nur von der Vorstellung verabschieden, „daß wir zu einem bestimmten Land gehören und dieses Land uns gehört“. Statt dessen müßten wir dazu übergehen, „uns als Weltbürger zu fühlen“, schreibt die in London lebende Vince in ihrer Einleitung. Ächz! Mehr muß man zu diesem alarmistischen Propagandawerk – und allen anderen thematisch ähnlichen, die den Buchmarkt fluten – nicht wissen. Vielversprechender scheinen da eher noch diverse Messeveranstaltungen zum Trendthema Künstliche Intelligenz („Hype, Horror oder Hoffnung? Was ChatGPT und Co. wirklich können“).

Kehlmanns neuer Roman steht in der Tradition seiner fiktional-biographischen Erfolgsbücher.

Am Dienstag dieser Woche ist im Rowohlt Verlag der neue Roman von Daniel Kehlmann erschienen. Am Abend zuvor stellte der Bestsellerautor ihn öffentlich erstmals im Berliner Ensemble vor. „Lichtspiel“, so heißt das Werk, ist ein wahrer Lichtblick in diesem sonst recht tristen Literaturherbst. Der Roman steht ganz in der Erzähltradition von Kehlmanns fiktiv-biographischen Erfolgsbüchern über den Naturforscher Alexander von Humboldt und den Mathematiker Carl Friedrich Gauß („Die Vermessung der Welt“, 2005) sowie über den in den Dreißigjährigen Krieg verlegten Narren Till Eulenspiegel („Tyll“, 2017). „Lichtspiel“ nun handelt von dem österreichischen Filmregisseur Georg Wilhelm („G.W.“) Pabst. In der Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm gehörte er in einer Reihe mit Fritz Lang, Friedrich Murnau und Ernst Lubitsch. Zu seinen bekanntesten Filmen zählen „Die freudlose Gasse“ (1925) mit Greta Garbo und Asta Nielsen, „Die Büchse der Pandora“ (1929), „Die Dreigroschenoper“ (1931) nach Bertolt Brechts gleichnamigem Bühnenstück sowie der Völkerverständigungsstreifen „Kameradschaft“ (1931). Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten versucht er seine Karriere in den USA fortzusetzen, scheitert dort jedoch. 1936 kehrt er nach Europa zurück, zunächst nach Frankreich. Vom Kriegsausbruch wird er dann während eines Heimatbesuchs bei seinen Eltern in Österreich überrascht. Fortan muß er sich mit dem NS-Geist und seinen führenden Köpfen wie dem für Filmangelegenheiten zuständigen Propagandaminister Joseph Goebbels arrangieren, der ihn verpflichten will. In Kehlmanns Schilderung einer Szene in Goebbels Büro erklärt Pabst, er habe nicht die Absicht, weiter Filme zu drehen. „Falsche Antwort“, erwidert der NS-Minister. „Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann, zum Beispiel KZ. Jederzeit.“ Schnitt. Nach dem Krieg drehte Pabst unter anderem noch den Spielfilm „Es geschah am 20. Juli“ über das gescheiterte Attentat auf Adolf Hitler 1944 mit Bernhard Wicki in der Rolle als Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Kehlmanns „Lichtspiel“ – klarer Lesebefehl!