© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Liberalkonservative Wurzeln der Schwulen-Bewegung
Homosexuell ist nicht gleich links
(dg)

Die Schwulenbewegung steht im Ruf, eine linke Emanzipationsbewegung zu sein, während schwul und konservativ als eher unvereinbare Begriffe gelten. Zu Unrecht, wie der zur Kulturgeschichte der Homosexualität publizierende britische Historiker Craig Griffiths dokumentiert (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 3/2023). Tatsächlich sei die Bewegung Ende der 1960er weder in den USA noch in der Bundesrepublik unter konservativen, sondern unter antikapitalistischen und antiimperialistischen  Vorzeichen gestartet und habe sich den „Befreiungsfronten“ in Algerien und Vietnam verwandt gefühlt. Nicht zufällig nannte sich eine der einflußreichsten schwulen Aktionsgruppen Westdeutschlands, die Frankfurter Gruppierung um Martin Dannecker, „Rote Zelle Schwul“. Man sei in diesen Kreisen überzeugt davon gewesen, soziale Akzeptanz für gleichgeschlechtliche Liebe lasse sich nur durch den „Systemumbau“ erreichen. Daneben etablierte sich aber eine randständige, von der zeithistorischen Forschung bis heute unbeachtet gebliebene „liberalkonservative“ Szene, deren Exponenten, wie der CDU-Sympathisant Johannes Werres, auf Anpassung und Integration in die „Normalgesellschaft“ setzten. Die Konfliktlinie zwischen den so ungleichen, von Dannecker und Werres repräsentierten „Schwulen-Lagern“ bildete sich in den Debatten über Selbstdarstellung, Lebensstile, Männlichkeit und Mode ab. Werres, ein auf antike Schönheitsideale fixierter Befürworter der „Knabenliebe“, habe seine Kritik an der links-schwulen Hauptströmung vor allem gegen deren öffentliche, von „Schmutz und Häßlichkeit“ geprägte Inszenierungen gerichtet, weil sie schwulenfeindliche Stereotype zementiert hätten. 


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