© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Olaf Scholz kann sich weiterhin an nichts erinnern
Bewegung im Cum-Ex-Skandal: Umbau der NRW-Justiz wird gestoppt / Früherer Warburg-Chef Olearius macht kommende Woche Aussage
Martin Krüger

Die Cum-Ex-Affäre, mit Fiskus-Verlusten von etwa zehn Milliarden Euro, über hundert Ermittlungsverfahren und etwa 1.700 Beschuldigten einer der größten Steuerskandale, hat mit neuen Enthüllungen weitere Einblicke geliefert, die skeptisch stimmen. Nach massiven Vorwürfen hat NRW-Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) die geplante Umstrukturierung der Kölner Staatsanwaltschaft beerdigt. Rund die Hälfte der Verfahren sollte der erfolgreichen Ermittlerin Anne Brorhilker weggenommen werden.

Die Arbeit der Oberstaatsanwältin hatte bereits zu maßgeblichen Verfahren und Urteilen geführt hat. Statt Aufsplitterung soll nun eine Personalaufstockung erfolgen: Ziel sei nun, das „Cum-Ex-Ermittlerteam zu stärken, um so noch bessere Bedingungen für die Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zu schaffen und dadurch umfassende Aufklärung zu ermöglichen“, so Limbach, der 2018 von der SPD zu den Grünen wechselte. Die massive Kritik, unter anderem von dem Anti-Korruptions-Verein Transparency International (TI) hat Wirkung gezeigt. Ein „Versanden“ der Cum-Ex-Ermittlungen „würde das Vertrauen in unseren Rechtsstaat untergraben“, hatte TI- Vorstandsmitglied Heribert Hirte, Juraprofessor und bis 2021 CDU-Bundestagsabgeordneter, gewarnt. Anfang Juni hatte die Kölner Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen eine Hamburger Finanzbeamtin wegen Begünstigung eingeleitet.

Die jetzt bekanntgewordene Razzia ist die zweite nach dem Jahr 2021. Bei der Cum-Ex-Steuertrickserei, wo Investoren und Banken Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividendenanspruch rund um den Dividendenstichtag handelten, konnten sie sich jahrelang die Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten lassen, obwohl sie diese nur einmal gezahlt hatten. Dies führte zu erheblichen Fiskus-Verlusten.

„Durch enge Kontakte zwischen Finanzszene und Politik geschützt“

 2013 startete Brorhilker erste Ermittlungen. Dabei fiel der Blick auch auf Olaf Scholz und das Hamburger Privatbankhauses M. M. Warburg. Der Kanzler war bis 2021 Bundesfinanzminister und von 2011 bis 2018 Hamburgs Erster Bürgermeister. Scholz bestätigt inzwischen diverse Treffen mit der Warburg-Spitze, beruft sich aber bei Details auf Erinnerungslücken. Zuvor gab es Unklarheiten, was die Kalendernotizen von Scholz angeht. Scholz gab zunächst nur eines von drei Treffen zu.

Der vom früheren Grünen-Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick geführte Verein „Bürgerbewegung Finanzwende“ moniert nicht nur „schleppende Aufklärung“, sondern bringt es auf den Punkt: „Kriminelle Geschäfte“ wurden „durch enge Kontakte zwischen Finanzszene und Politik geschützt“. Der Verein ist übrigens überparteilich, Hirte und der frühere Linken-Bundestagsabgeordnete Fabio De Masi, bis 2021 Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuß, sind Ehrenmitglieder (Fellows).

Scholz ist für das erst 2012 geschlossene „Steuerschlupfloch“ nicht verantwortlich. Aber als das Hamburger Finanzamt 2016 knapp 50 Millionen Euro Cu-Ex-Gelder von der Warburg-Bank zurückfordern wollte, entschied sich die Hansstadt in letzter Minute dafür, dies doch nicht zu machen. Kurz zuvor traf sich Scholz mit Warburg-Chef Christian Olearius. Laut Olearius’ Tagebüchern riet Scholz ihm angeblich, ein Verteidigungsschreiben an SPD-Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Der heutige Hamburger Regierungschef übermittelte das Schreiben an die Steuerverwaltung, wobei pikanterweise die Argumente der Bank markiert sind.

Die Steuer-Rückforderungsansprüche verjährten Ende 2016. Fabio De Masi hat nun Ende August Strafanzeige gegen Scholz wegen uneidlicher Falschaussage gestellt. Von Oberstaatsanwältin Brorhilker ist ein Aktenvermerk (213 AR 14/22) aufgetaucht, in dem von „Ungereimtheiten in den Aussagen von Olaf Scholz“ die Rede ist. Hinzu kommt, daß Ermittlungen „mit Rücksicht auf die Stellung“ des Kanzlers nicht weitergeführt wurden. Auf Nachfragen dazu in der Bundespressekonferenz hieß es lapidar: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Die Justiz ist unabhängig. Zu laufenden Verfahren nehme man keine Stellung.

Ex-Warburg-Chef Olearius will sich als Angeklagter nun am 16. Oktober selbst äußern. Ihm wird im Prozeß eine besonders schwere Steuerhinterziehung in 14 Fällen mit einem Gesamtschaden von rund 280 Millionen Euro vorgeworfen. Dem 81jährigen drohen bei einem Schuldspruch bis zu zehn Jahre Haft. Ob und wie Scholz persönlich in die Hamburger Cum-Ex-Affäre verwickelt war oder nicht, bleibt also weiter Gegenstand von Ermittlungen und politischer Debatte. Der Kanzler könnte sogar als Zeuge im Olearius-Prozeß geladen werden. Es stehen schließlich noch mindestens 26 Verhandlungstage an.

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