Friedrich Merz hat als Oppositionsführer bisher nicht die beste Figur gemacht. Auch sein jüngster Vorschlag für eine große Steuerreform wurde schnell abgetan. Zu Unrecht, denn der CDU-Chef weist durchaus in die richtige Richtung und wird von Ökonomen unterstützt. Das Problem liegt ganz woanders. Man kann Merz vieles nachsagen, aber daß er etwas von Steuern versteht, wird niemand abstreiten. Legendär ist seine Forderung, die Einkommensteuererklärung der Bürger müsse auf einen Bierdeckel passen. Daraus ist nichts geworden, aber die Grundidee einer Vereinfachung ist nach wie vor richtig.
Denn nirgendwo gibt es kompliziertere Steuerregeln als bei uns, angeblich sind 60 Prozent der weltweiten Steuerliteratur auf deutsch verfaßt. Vielleicht ist das übertrieben, aber dennoch ächzen die Unternehmen hierzulande unter einer erdrückenden Steuerbürokratie. Laut einer Weltbank-Studie benötigt ein deutscher Mittelständler 218 Stunden für deren Bewältigung, sein norwegischer Kollege schafft das in nur 83 Stunden. Und auch die Steuersätze erreichen internationale Spitzenwerte. Während bei uns im Durchschnitt 30 Prozent Unternehmenssteuern anfallen, sind es in den USA nur 26 Prozent, und auch Großbritannien und Frankreich haben deutlich niedrigere Belastungen mit 19 bzw. 25 Prozent.
Hinzu kommt eine international unübliche Ungleichbehandlung von Kapital- und Personengesellschaften in Deutschland: Während erstere eine pauschale Körperschaftsteuer von 15 Prozent zahlen, können letztere wählen zwischen dieser und der normalen Einkommensteuer. Hinzu kommt in beiden Fällen aber noch die Gewerbesteuer, die den Kommunen zufließt. Letztere hat wiederum ganz eigene Bemessungsgrundlagen sowie örtlich höchst unterschiedliche Steuersätze. Und um das ganze Tohuwabohu komplett zu machen, kann die Gewerbesteuer wiederum bei der Einkommensteuer angerechnet werden. Sie kommt auch gar nicht voll der Gemeinde des Firmensitzes zugute, sondern wird zum Teil wieder an Bund, Land und gegebenenfalls ärmere Gemeinden umverteilt. Kein Wunder also, daß viele Ökonomen seit langem fordern, sie abzuschaffen und die Kommunen stattdessen stärker an den allgemeinen Steuereinnahmen zu beteiligen.
Das will auch Merz – und zusätzlich schlägt er nun im Handelsblatt vor, alle Firmen unabhängig von ihrer Rechtsform steuerlich gleich zu behandeln. Eine einzige Unternehmenssteuer in Höhe von 25 Prozent soll dazu an die Stelle des bisherigen Flickenteppichs aus fiskalischen Belastungen treten, womit Deutschland zugleich international wieder wettbewerbsfähiger würde. Kosten soll das Ganze 30 Milliarden Euro pro Jahr, aber dafür würde die deutsche Wirtschaft wieder stärker wachsen. Das wäre bitter nötig, denn 2023 wird das Bruttoinlandsprodukt voraussichtlich schrumpfen. Auch die Aussichten für die kommenden zwei Jahre sind mit +1,3 bzw. +1,6 Prozent laut Herbstprognose der führenden fünf Wirtschaftsforschungsinstitute nicht gerade berauschend.
Nahe bei den steuerpolitischen Vorstellungen der AfD
Kritik am Merz-Konzept kommt erwartungsgemäß von den Ampel-Parteien: Es fehle an einer Gegenfinanzierung, lautet ihr Standardargument. Merkwürdigerweise spielt das umgekehrt etwa bei den viel höheren Klimaschutz- und Migrationsausgaben regelmäßig keine Rolle. Zudem ist die Staatsausgabenquote mit aktuell 48 Prozent viel höher als jemals zuvor, abgesehen von den Corona-Ausnahmejahren. Da sollten sich in einem staatlichen Gesamthaushalt von 1,75 Billionen Euro eigentlich ein paar Sparmaßnahmen finden lassen. Auch das Argument „Wachstumschancengesetz“, das in dieser Woche im Bundestag beraten wurde, wird von Merz zu Recht zurückgewiesen. Dahinter verbirgt sich ein Sammelsurium von etwa 50 Einzelmaßnahmen, von der zeitlich begrenzten Zulassung degressiver Abschreibung bis zu Forschungszuschüssen für den Klimaschutz.
Im Herbstgutachten wird zudem moniert, daß dieses Paket mit rund sieben Milliarden Euro insgesamt zu klein ausfällt. Zudem atmet es weiterhin den Geist des Interventionismus und ist weit entfernt von einem echten Befreiungsschlag. Auch Ifo-Chef Clemens Fuest ist deshalb eher für das Merz-Konzept, das zudem nahe bei den steuerpolitischen Vorstellungen der AfD liegt. Aber das ist wohl das eigentliche Problem: Die „Brandmauer gegen Rechts“ könnte tatsächlich bewirken, daß sich das eigentlich vernünftige Steuerkonzept von Merz am Ende doch nur als Blendwerk darstellt.
Prof. Dr. Ulrich van Suntum lehrte bis 2020 VWL an der Wilhelms-Universität Münster.
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