© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

In die Falle getappt
US-Repräsentantenhaus: Erstmals in der Geschichte der Vereinigten Staaten wird ein Sprecher des Repräsentantenhauses abgewählt. Neben inhaltlichen Differenzen geht es vor allem um persönliche Fehden innerhalb der Konservativen
Annalisa Oehler

Wie eine Bombe schlug die Nachricht ein, daß der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy, seinen Posten räumen muß. Das sorgte vergangene Woche im ohnehin bewegten Washingtoner Politikalltag für Tumult. Es war das erste Mal in der Geschichte der Vereinigten Staaten, daß ein Sprecher überhaupt abgesetzt wurde. Das letzte Mal wurde der Posten vor mehr als 110 Jahren in Frage gestellt.

Was war geschehen? Demokratische Abgeordnete hatten sich am 3. Oktober mit acht Republikanern verbündet und McCarthy von seinem Posten als Sprecher mit 216 zu 210 Stimmen abgewählt. Die Republikaner halten momentan eine knappe Mehrheit der 435 (222 zu 213) Sitze des Hauses, das über Gesetze abstimmt und Kontrollfunktionen gegenüber dem Präsidenten hat. Abgeordnete werden alle zwei Jahre von ihrem Wahlbezirk gewählt und repräsentieren die Bevölkerung. Dem gegenüber steht der Senat. Dort sind alle US-Bundesstaaten mit jeweils zwei Senatoren vertreten und stimmen über Bundesgesetze, die das Haus beschlossen hat, ab. Zudem wählt der Senat Minister und Bundesrichter.

Der Sprecher des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten (Speaker of the House), ist gleichzeitig der Vorsitzende und führt die politischen und parlamentarischen Geschäfte des Repräsentantenhauses, er ist de facto Führer der Mehrheitspartei des Gremiums und der Verwaltungschef der Institution. Das Amt wurde 1789 durch die US-Verfassung eingeführt. Die Rolle des Sprechers ist fundamental, denn er würde als Commander-in-Chief der Vereinigten Staaten nachrücken, sollten sowohl der Präsident als auch sein Vize nicht in der Lage sein, das Amt weiterhin auszuführen. Somit ist der Sprecher des Repräsentantenhauses die drittmächtigste Person im amerikanischen Polit-Apparat.

Die Demokraten als lachender Dritter 

McCarthy, ein Abgeordneter aus dem Bundesstaat Kalifornien, war 2007 zum ersten Mal im Kongreß vertreten und gehört sei 2009 zur führenden Riege innerhalb der Republikanischen Partei. Er war erst seit Januar im Amt und konnte diesen Posten nur im 15. Wahlgang, während eines tagelangen Machtkampfes innerhalb seiner Partei, erringen. Und auch nur durch signifikante Zugeständnisse seinen innerparteilichen Gegnern gegenüber, wie die Möglichkeit eines „Räumungsantrages“ (Motion to Vacate) des Amtes, der ihn nun seinen Job kostete.

Das Prekäre an der Situation ist, daß der „Räumungsantrag“ von seinem republikanischen Kollegen, dem Abgeordneten Matt Gaetz aus Florida gestellt wurde. Das zeigt die tiefe Spaltung der Konservativen.  „Dieser Haufen Mist entsteht gerade jetzt, weil die Republikanische Partei in eine von ihr selbst gestellte Falle getappt ist“, kommentiert der konservative Journalist Steve Deace die Situation auf X (ehemals Twitter). „Der größte Teil der Republikanischen Partei kann jetzt nicht mehr offen tun, was er will, nämlich die Basis verraten und das Geld einstecken, weil das Auftauchen von Trump und seiner Basis ihr Paradigma existentiell gestört hat. Außerdem wurde die Schwäche der Partei auf ein unhaltbares Niveau gesenkt.“

Gaetzs Coup war am Ende nur möglich, weil die Partei seit Donald Trump tief gespalten ist. Er war von führenden Republikanern und konservativen Politikern im ganzen Land arg kritisiert worden, weil er nach Ansicht vieler einen persönlichen Rachefeldzug gegen McCarthy geführt hatte. Der Grund sei die Untersuchung des Ethikausschusses des Repräsentantenhauses gegen Gaetz. Ihm wird unter anderem sexuelles Fehlverhalten sowie der Mißbrauch von Geldern vorgeworfen. „Es ist zum Vorteil dieses Landes, daß wir einen besseren Sprecher des Repräsentantenhauses haben als Kevin McCarthy“, sagte Gaetz nach der Abstimmung zu Reportern. „Kevin McCarthy konnte sein Wort nicht halten. Er hat im Januar eine Vereinbarung über die Arbeitsweise in Washington getroffen, und er hat diese Vereinbarung gebrochen. Wir sind mit 33 Billionen Dollar verschuldet. Wir stehen vor einem jährlichen Defizit von 2,2 Billionen Dollar. Wir stehen vor einer weltweiten 

Entdollarisierung, die die Amerikaner, die Amerikaner der Arbeiterklasse, vernichten wird.“

Nach einer Pattsituation zwischen der von McCarthy geführten Konferenz der Republikaner im Repräsentantenhaus und der Biden-Regierung verhandelten beide Gruppen, um die Krise um die Schuldenobergrenze im Jahr 2023 zu lösen und den ersten Staatsbankrott zu verhindern, der damit verbunden gewesen wäre. Um die Krise zu lösen, handelten die Parteien den Fiscal Responsibility Act of 2023 aus, der mit parteiübergreifender Unterstützung im Kongreß verabschiedet wurde, bevor Biden ihn unterzeichnete.

Gaetz behauptete, McCarthy, der allerdings vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump unterstützt wurde, sei eine „Kreatur des Sumpfes“, der an die Macht gekommen sei, indem er Geld von Interessengruppen sammelte und dieses Geld im Austausch für Gefälligkeiten umverteilte. „Was das Repräsentantenhaus gelähmt hat, war das Versagen von Sprecher McCarthy. Was das Repräsentantenhaus gelähmt hat, war, daß wir uns nicht mit den Haushaltsgesetzen befaßt haben – wir sind in einen sechswöchigen Urlaub gegangen, während der Haushaltsprozeß auf der Kippe stand.“

Gaetz sagte, daß seine Aktion ein „Abreißen des Pflasters“ darstelle, das seiner Meinung nach notwendig sei, um das Land wieder auf Kurs zu bringen. Er zählt sich selbst zum Anti-Establishment der Republikaner, ist Trump-Unterstützer und Teil des republikanischen „Freedom Caucus“, die in den Medien als „extrem rechts“ beschriebene Fraktion der Partei.

McCarthy wirft Parteifreund Wortbruch vor

Obwohl Gaetz und die sieben anderen Republikaner immer wieder als „extrem rechts“ betitelt werden, fanden sie einvernehmliche Unterstützung von den linken Demokraten. Es gibt mehrere Gründe für ihre Abneigung gegen den Vorsitzenden der Republikaner. McCarthy pflegt eine enge Beziehung zum ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Vor kurzem leitete er ein Amtsenthebungsverfahren gegen Biden ein, weil dieser unter anderem von den Geschäften seines Sohnes Hunter Biden profitiert haben soll. Wie die Washington Post berichtet, war der letzte Streich jedoch, als McCarthy die Demokraten für den Beinahe-Stillstand in bezug auf den Haushalt verantwortlich machte. „Es war gut für die Demokraten, denn so konnten sie die Schwächen der Republikaner klar aufzeigen und für sich nutzen“, so der Kommentator Dave Rubin in seinem Podcast. Dieses Verhalten gibt den Demokraten seiner Meinung nach die besten Chancen für die Präsidentschaftswahl 2024, da die Republikaner keine klare Linie mehr zeigen können.

McCarthy äußerte sich nach seiner Absetzung unverblümt gegenüber Reportern und betonte, daß es für ihn eine persönliche Vendetta von Gaetz war und lehnte alle Vorwürfe eines Fehlverhaltens ab. „Ich denke, im besten Fall setzt man das Land an die erste Stelle. Wissen Sie, bei diesem Job ging es nie um mich“, sagte er und fügte später hinzu: „Warum sollte ich etwas für mich tun, das dem Land schaden kann? Ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Personen produktiv sein wollen. Es beunruhigt mich als Republikaner, wenn ich sehe, was sie tun.“ Er berichtete, daß Gaetz ihm im Januar gesagt habe, daß er eine Regel einführen wolle, die es einem einzelnen Mitglied erlaube, einen Antrag auf Räumung zu stellen, und er versprochen habe, diese Regel nie anzuwenden. Er betonte ebenfalls, daß die Republikaner, die ihn abgesetzt haben, immer wieder den parlamentarischen Prozeß gestört und Gesetzesentwürfe blockiert hätten. McCarthy stellt klar, daß er lediglich seine Aufgabe erfüllte, „Brücken zum Wohle des amerikanischen Volkes zu bauen“.

Mittlerweile haben bereits zwei Abgeordnete der Republikaner, Jim Jordan aus Ohio und Steve Scalise aus Louisiana, ihre Kandidatur für die Wahl für das Amt des Sprechers öffentlich angekündigt. Als lautstarker Unterstützer des ehemaligen Präsidenten Donald Trump hat Jordan die Ermittlungen gegen die Biden-Regierung geleitet. Jordan hat sich mit McCarthy verbündet, was ihm bei den Hardlinern einige Skepsis einbrachte. Auch Gemäßigte sehen ihn als zu konservativ an.

Da Scalise der Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus ist, würde sein Posten frei werden, wenn er gewählt würde. McCarthys Verbündete kritisieren Scalise und behaupten, er sei McCarthy in den Rücken gefallen, als dieser abgewählt wurde.