© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Mielke würde sich ins Fäustchen lachen
Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen: Der Buchladen im ehemaligen Stasi-Gefängnis bietet verharmlosende DDR-Propaganda feil
Lorenz Bien

Balkone reihen sich an Balkone, kein Himmel zu sehen und keine Erde. Fenster und Geländer sind leblos und menschenleer. Wohnbauserie 70 nannte man diese Wohnblocks in der DDR, es war der am häufigsten gebaute Wohnhaus-Typus des Landes. Doch am unteren Rand des Bildes steht ein gelbes Ortsschild und es verweist auf keinen realen Plattenbau, keinen konkreten, sondern auf einen Ort der Phantasie. „Heimweh. Hauptstadt der DDR“, steht auf dem Ortsschild. 

Es ist an sich nichts Ungewöhnliches an dieser Postkarte. Die Vergangenheit ist in vielen Gegenden Ostdeutschlands lebendig und die Erinnerung an sie nicht nur schmerzlich. Doch wer gerade aus einer Führung der Gedenkstätte Hohenschönhausen kommt, wer sich angehört hat, wie hier gefoltert, überwacht und gemordet wurde, der mag überrascht sein, wenn er diese Postkarte anschließend im offiziellen Shop des Museums entdeckt. Heimweh nach der DDR – an dem Ort, an dem das Regime seine Verbrechen beging?

Es ist nicht das einzige Motiv, das ins Auge fällt. Viele andere Postkarten tragen historische Propagandabilder des untergegangenen Regimes. „Von den Sowjetmenschen lernen, heißt siegen lernen“ heißt es auf einer anderen Karte, sie zeigt, wie sich zwei Arbeiter die Hände reichen. „Die Volkspolizei schützt unsere friedliche Aufbauarbeit und das Glück unserer Kinder“, titelt eine weitere Karte. Sie zeigt ein Fabrikgelände, davor eine Polizistin in der Uniform der fünfziger Jahre. Zuerst hatte die Neue Zürcher Zeitung darüber berichtet.

Vor allem Zeitzeugen zu Wort kommen lassen

Seit 1999 existiert der wirtschaftlich unabhängige „Buchladen 89“ auf dem Gelände der Gedenkstätte, initiiert wurde er aus dem Umfeld der DDR-Bürgerrechtsbewegung. Seit mindestens zehn Jahren soll er von Andreas B. betrieben werden, teilt ein Zeitzeuge der JUNGEN FREIHEIT mit, der bis vor einigen Jahren noch Führungen gab. „Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, daß der Andreas das aus böser Absicht dort verkauft. Das Sortiment wird ja immer größer, irgendwie muß das durchgerutscht sein.“

Doch auch allgemein soll sich in der Gedenkstätte einiges verändert haben, seitdem der ehemalige Direktor Hubertus Knabe 2018 abdanken mußte. Seit den frühen neunziger Jahren setzte Hohenschönhausen auf das Konzept, Zeitzeugen, also ehemalige Häftlinge und Opfer des Stasigefängnisses zu Wort kommen zu lassen. Schon in den Jahren vor Knabes Entlassung zog diese Praxis auch Kritik auf sich. Diese Methode überwältige den Besucher in erster Linie und vermittle zu wenig historisches Wissen, monierte die Forscherin des Max-Planck-Instituts, Juliane Breuer, bereits 2017 im Deutschlandfunk. Daß in diese Kritik wohl auch andere Aspekte mit hineinspielten, zeigen die Debatten, die sich im gleichen Zeitraum am Förderverein Berlin-Hohenschönhausen entzündeten, unter anderem weil der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski dort Mitglied geworden ist. Im Juni 2018 sah sich Knabe schließlich auch aufgrund äußeren Drucks gezwungen, die Zusammenarbeit mit dem Verein auszusetzen (JF 27/18). Doch auch Knabe selbst stand im Schußfeld. „Proaktive, antikommunistische Geschichtspolitik“ warf ihm die Historikerin Carola S. Rudnick in ihrem Buch „Die andere Hälfte der Erinnerung“ vor. 

Wieso dies für den Leiter einer Gedenkstätte für kommunistische Greueltaten unpassend sein soll, erschließt sich wohl nur im Kontext ihres Buches. Dort beklagt Rudnick etwa, daß man durch die Öffnung der Stasiakten versucht habe, die DDR zu „demontieren, beziehungsweise sie zu delegitimieren“. Im September 2018 teilte schließlich der Stiftungsrat der Gedenkstätte mit, man habe kein Vertrauen, daß „Herr Knabe den dringend notwendigen Kulturwandel“ in der Gedenkstätte einleiten werde (JF 47/20). Ob auch DDR-Propagandapostkarten als Teil dieses Kulturwandels angedacht waren, wird noch zu klären sein.