© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 42/23 / 13. Oktober 2023

Vergifteter Wahlkampf
Zwei Vorfälle im Endspurt: Sind die beiden Vorsitzenden der AfD ins Visier politischer Anschlagspläne geraten?
Frank Hauke

In der Schlußphase der Landtagswahlkämpfe in Bayern und Hessen mußte die AfD auf ihre beiden Bundesvorsitzenden verzichten. Während Alice Weidel nach einem „sicherheitsrelevanten Vorfall“ sowie Ermittlungen der Kantonspolizei an ihrem Schweizer Wohnsitz eine Zeitlang keine Auftritte wahrnahm, wurde Tino Chrupalla Opfer eines mutmaßlichen Anschlags auf seine Gesundheit.

Wie aus einem ärztlichen Schreiben hervorgeht, über den die Onlineredaktion der JUNGEN FREIHEIT zuerst berichtete, haben Mediziner beim 48jährigen eine „intramuskuläre Injektion mit unklarer Substanz“ festgestellt. Bei Blut- und Urinuntersuchungen konnte diese im Klinikum Ingolstadt nicht identifiziert werden. Chrupalla begab sich daher laut JF-Informationen nach seiner Entlassung von der Intensivstation ambulant zu einem Pathologen, der das Mittel, das ihm möglicherweise gespritzt wurde, anhand einer Gewebeprobe ermitteln soll.

Der AfD-Chef war am Mittwoch vor den Wahlen auf einer Wahlkampfveranstaltung in Ingolstadt plötzlich zusammengebrochen und ins Krankenhaus gebracht worden. Chrupalla hatte zuvor auf seinem Hemd einen Blutfleck wahrgenommen. Den hätten auch die zuständigen BKA-Personenschützer unmittelbar nach dem Vorfall wahrgenommen. Der Politiker zeigte nach dem mutmaßlichen Angriff sofort auf zwei Männer, die vorher ein Selfie mit ihm machten, und verdächtigte die beiden, mit seinem sich sofort verschlechternden Gesundheitszustand zu tun zu haben. In dem Arztbrief heißt es zudem über Chrupalla: „Schwindel mit Übelkeit und Brechreiz sowie Kopfschmerzen mit präkollaptischem Ereignis nach unklaren Intox“. Intox steht für Intoxikation und bedeutet Vergiftung.

Dennoch distanzierte sich die Staatsanwaltschaft einen Tag nach der JF-Veröffentlichung von dem Dokument, das auch von einer „Nadelstichverletzung“ berichtet. Die Behörde behauptete, all dies sei eine „in der Anamnese durch die Ärzte niedergelegte Schilderung“ Chrupallas. Doch dies ist nicht richtig. Vielmehr steht beides wiederholt unter „Diagnose“, „Körperlicher Untersuchungsbefund“ sowie unter „Epikrise“, was Abschlußbericht heißt.

Dort haben die behandelnden Ärzte des Klinikums wörtlich niedergeschrieben: „Herr Chrupalla wurde am 4. 10. 2023 nach einer intramuskulären Injektion mit einer unklaren Substanz zur weiteren Überwachung auf unsere internistische Intensivstation aufgenommen.“

Außerdem verlautbarte die Behörde auf Grundlage von Aussagen der Personenschützer des AfD-Chefs: „Die Beibringung einer Spritze oder einen körperlichen Angriff haben diese Zeugen nicht wahrgenommen.“ Auch der behandelnde Mediziner distanzierte sich teilweise von den Angaben seines eigenen Arztbriefes – nachdem er von der Polizei befragt wurde. Die Mediziner stellten bei dem Politiker zudem einen „kompletten Rechtsschenkelblock“ fest. Dies ist eine Störung der Erregungsleitung im Herzen. Ob dies durch die mutmaßliche Injektion ausgelöst wurde oder ob der AfD-Chef unbemerkt bereits vorher darunter litt, ist unklar. Er sagte nach dem Krankenhaus-Aufenthalt alle Wahlkampftermine ab und nahm auch nicht an den Wahlpartys der AfD in Hessen und Bayern teil. Am vergangenen Freitag dann hat sich Chrupalla die betreffende Stelle von einem Facharzt aus der Haut schneiden lassen. Aus dem pathologischen Gutachten geht hervor, die Befunde seien „mit einem Einstich/Stichkanal vereinbar“.  

Zunächst hatte vergangene Woche eine Meldung über einen Vorfall bei der Co-Vorsitzenden, Alice Weidel, für Wirbel gesorgt. Einsatzkräfte einer Spezialeinheit der Schwyzer Kantonspolizei hatten die 44jährige, ihre aus Sri Lanka stammende Lebensgefährtin sowie die beiden Kinder bereits am 23. September aus Sicherheitsgründen für einen Tag aus der Wohnung im schweizerischen Bezirk Einsiedeln an einen sicheren Ort verbracht.

Dies wurde erst bekannt, als Weidel anders als angekündigt nicht an einer Wahlkampfveranstaltung im hessisch-thüringischen Mödlareuth am Tag der Deutschen Einheit teilnahm. Sie wandte sich stattdessen mit einer Videobotschaft an die Parteianhänger. Was zu diesem Zeitpunkt niemand wußte: Weidel hielt sich mit ihrer Familie auf Mallorca auf. Dies sorgte prompt für Kritik bei politischen Gegnern, in den Medien und auch bei manchen ihrer Parteifreunde, die sich getäuscht sahen – zumal Weidel nach der Evakuierung aus ihrer Wohnung noch ganz regulär an der Sitzungswoche des Bundestages teilgenommen hatte. Beigetragen zu dieser Verwirrung hatten allerdings auch AfD-Funktionäre, die bei oder nach der Veranstaltung etwas von einem „Safe House“ behaupteten, in dem sich die Vorsitzende angeblich verstecken müsse. Davon war in einer parteiinternen Sprachregelung, die der jungen freiheit vorliegt, jedoch nie die Rede. 

„Der Vorfall hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen“

Weidels Sprecher erklärte nachträglich, sie sei einer „Empfehlung gefolgt, einige Zeit ihrer häuslichen Umgebung fernzubleiben“, die ein mutmaßliches Anschlagsziel gewesen sei. An dem „sicheren Ort“ sei sie einen Tag geblieben. Die Kantonspolizei Schwyz bestätigte gegenüber dem Schweizer Radio den Einsatz vom 23. September im Bezirk Einsiedeln, ohne auf Details einzugehen. Mit ihrer Reise nach Mallorca sei die AfD-Chefin zum einen dem Rat gefolgt, „sich daheim etwas rar zu machen, zum anderen ist die Familie von den Vorgängen natürlich schockiert“, so ihr Sprecher. Es seien „immerhin zwei kleine Buben mit betroffen“. Das deutsche Bundeskriminalamt betonte ausdrücklich, die Absage der Teilnahme an der Veranstaltung in Mödlareuth sei nicht auf ihren Rat erfolgt. 

Bei einer Pressekonferenz am Montag wollte sich die Parteichefin aus polizeitaktischen Gründen nicht zu ihrer aktuellen Sicherheitslage äußern. Infolge des Einsatzes einer Antiterroreinheit an ihrem Wohnsitz samt Evakuierung ihrer Familie laufe ein Ermittlungsverfahren: Der Vorfall habe bei ihr „einen bleibenden Eindruck hinterlassen“, und sie nehme das alles sehr ernst.