Daß Abgeordnete im Bundestag von einer Fraktion zur anderen wechseln, kommt eher selten vor. In der alten Bundesrepublik kam es infolge der neuen Deutschland- und Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) 1969 gleich zu einer ganzen Reihe von Austritten aus den Fraktionen der damaligen sozialliberalen Koalition von SPD und FDP. Von der SPD- zur CDU/CSU-Fraktion wechselte damals zum Beispiel der bekannte Vertriebenen-Funktionär Herbert Hupka.
Nach der deutschen Einheit waren Fraktionswechsel eher selten.1996 etwa ging die bekannte Publizistin Vera Lengsfeld von Bündnis 90/Die Grünen zur CDU/CSU-Fraktion. Und 1999 wechselte der SPD-Abgeordnete Uwe Hicksch zur Linksfraktion, die zu damaliger Zeit noch PDS hieß. Häufiger als Fraktionswechsel sind im Bundestag Austritte aus Fraktionen. So trat zum Beispiel der FDP-Politiker Jürgen W. Möllemann im Februar 2003 aus der FDP-Fraktion aus. Möllemann war vorgeworfen worden, für ein angeblich antisemitisches Flugblatt verantwortlich und in eine verbotene Wahlkampffinanzierung verwickelt zu sein. Ein Sonderfall ist der Abgeordnete Martin Hohmann, der im November desselben Jahres wegen einer umstrittenen Rede zum Tag der deutschen Einheit aus der CDU/CSU-Fraktion ausgeschlossen wurde. Hohmann kehrte 2017 als AfD-Abgeordneter in den Bundestag zurück. In den vergangenen zwei Legislaturperioden traten überwiegend AfD-Abgeordnete aus ihrer Fraktion aus, die in der derzeitigen Legislaturperiode deshalb bereits von 82 auf 78 geschrumpft ist.
Jetzt wurde wieder ein Wechsel bekannt. Der saarländische Bundestagsabgeordnete Thomas Lutze erklärte seinen Austritt aus der Linksfraktion. Er möchte in die SPD-Fraktion eintreten, die ihn offenbar aufnehmen will. Lutze begründete seinen Schritt damit, daß er die Linkspartei „nicht mehr als linkes Korrektiv zu sozialen Fehlentwicklungen“ wahrnehme. Sein Landesverband ist zudem völlig zerstritten.
Für die Linksfraktion ist das äußerst gefährlich: Verliert sie noch ein weiteres Mitglied, etwa die über eine Parteineugründung nachdenkende Sahra Wagenknecht, ist sie ihren Fraktionsstatus los. Genau das sprach auch Lutze an: Wenn Wagenknecht vor ihm austrete, wäre er für den Verlust des Fraktionsstatus verantwortlich. Das wolle er nicht und trete deshalb jetzt aus. Der Verlust des Fraktionsstatus könnte aber auch eintreten, wenn bei der Wiederholung der Bundestagswahl in vielen Berliner Stimmbezirken die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch ihr Direktmandat verlieren sollte. Dann hätte die Linke nur noch zwei Direktmandate und könnte damit nicht mehr von der Grundmandatsklausel profitieren, wonach drei Direktmandate reichen, um auch ohne Überschreiten der Fünfprozenthürde ins Parlament einziehen zu können. So oder so sieht es für die Linke schlecht aus. Daß sie bundesweit fünf Prozent erhalten könnte, ist nach den jüngsten Wahlen und Umfragen unwahrscheinlich.