Natürlich fühlen sich beide Amtsinhaber nach dem Wahlsonntag in Bayern und Hessen als Sieger. Der Wähler hat sie bestätigt, Markus Söder (CSU) mit Verlusten, seinen Wiesbadener Kollegen Boris Rhein (CDU) mit deutlichen Gewinnen. Für den Mann in der Münchner Staatskanzlei, der schon im Vorfeld eine Fortsetzung der Koalition mit den Freien Wählern angekündigt hatte, dürften die Verhandlungen freilich etwas herausfordernder werden.
Denn der bisherige und wohl auch künftige Partner, die Freien Wähler, ist mit seinen Zugewinnen deutlich gestärkt, während die Christsozialen ihr bis dato schlechtestes Abschneiden von 2018 noch ein bißchen unterboten haben. „Es geht nicht um einen Schönheitspreis. Es geht um eine stabile Regierung“, hatte Söder bereits vor der Wahl die Erwartungen in der Dauerregierungspartei zu dämpfen versucht. Der stellvertretende Ministerpräsident, Freie-Wähler-Spitzenkandidat Hubert Aiwanger, komplettierte seinen Triumph und holte in seinem Stimmkreis Landshut das Direktmandat.
„Wir sind heute nicht die Wahlsieger“
Doch den über die jeweilige Landesgrenze am deutlichsten ausstrahlenden Wahlsieg fuhr die AfD ein. Zweitstärkste Kraft in Hessen, Platz 3 – vor den Grünen – in Bayern und damit auch im Freistaat Oppositionsführerin. Der Partei sei damit am vergangenen Sonntag der „Doppelwumms“ gelungen, jubelte die Bundesvorsitzende Alice Weidel. In ihrem Gründungsland Hessen kam die AfD auf das bisher beste je in einem westdeutschen Bundesland erzielte Ergebnis. Spitzenkandidat Robert Lambrou nannte es einen riesigen Vertrauensvorschuß, daß am Sonntag viele die AfD zum ersten Mal gewählt hätten. Parteichefin Weidel sprach von einem deutlichen Votum, das nicht ohne Folgen bleiben dürfe. Sogenannte „Brandmauern“ seien eine „Ausgrenzung von Millionen Wählern“, die demokratiewidrige Aussperrung der AfD von einer Regierungsverantwortung könne nicht aufrechterhalten werden. Unbestritten ist: Als einzige Partei hat die AfD netto Wähler dazugewonnen, von den Konkurrenten genauso wie aus dem Reservoir der Nichtwähler. Für Weidel ist damit bewiesen: „Wir sind eine gesamtdeutsche Volkspartei!“
Dieses Etikett droht anderswo zu verblassen. Ein wahres Kunststück brachte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert fertig. Einerseits gestand er – ungewöhnlich für Politiker – ohne Umschweife die Niederlage der eigenen Partei in beiden Ländern ein: „Wir sind heute Abend ausdrücklich nicht die Wahlsieger“, sagte Kühnert im ZDF. Man sei nicht „taub und blind“, und daher sollten alle miteinander in der Ampelkoalition die Signale erkennen. „In diesem Wahlergebnis liegt auch eine Botschaft für uns“, gab sich Kühnert einsichtig.
Andererseits behauptete der Generalsekretär kühn, die Autorität der als SPD-Spitzenkandidatin krachend gescheiterten Nancy Faeser als Bundesministerin sei nicht beschädigt. Es sei ein landespolitisches Votum gewesen. „Sie hat unseren klaren Rückhalt als Bundesinnenministerin“. Auch die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil hoben Faesers „große Erfolge“ hervor, „großartige Arbeit“ habe die Ressortchefin geleistet, schwärmte die Spitze des Willy-Brandt-Hauses. Dabei hatte Faeser noch nicht einmal ein Direktmandat für den Wiesbadener Landtag erzielt. Mit 14,8 Prozent landete sie abgeschlagen auf dem dritten Platz – hinter den Kandidaten von CDU und Grünen. Damit unterbot die frühere hessische Oppositionsführerin sogar das landesweite Ergebnis ihrer Partei. Daß die SPD es in Bayern bloß auf ein einstelliges Ergebnis brachte, geriet nach dem Wahlabend fast zur Randnotiz. Man hatte es wohl schon im Vorfeld eingepreist. Faesers Schwäche färbt unterdessen auch auf Bundeslanzler Olaf Scholz ab, der dennoch an ihr festhält. Aus Loyalität einerseits, vor allem aber weil ihm personelle Alternativen für eine Kabinettsumbildung fehlen, die nicht – wie seinerzeit beim Austausch der glücklosen Christine Lambrecht durch Boris Pistorius – die versprochene paritätische Besetzung durcheinanderbrächten.
Am glimpflichsten unter den gerupften Ampelparteien kamen die Grünen davon. Trotz Verlusten sei man stabil geblieben, resümierten die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour. In Hessen wollen sie keine Wechselstimmung festgestellt haben und gehen davon aus, wie bisher mit der CDU zu regieren. Der „Ball liegt bei Boris Rhein“, so Nouripour mit Blick auf den CDU-Regierungschef.
Bitter ist der Wahlabend vor allem für die FDP: Klar raus aus dem Münchner Maximilianeum, und gerade noch knapp drin im Wiesbadener Landtag. Offenbar danken es die Wähler den Liberalen nicht, daß sie sich als eine Art Opposition in der Regierung verkaufen und „Schlimmeres verhindern“. Bayern ist nach Niedersachsen und Berlin die nächste Station mit Namen außerparlamentarische Opposition.
Einer der Wortführer oder zumindest ein Wahrnehmungsverstärker der Unzufriedenen an der liberalen Basis ist der Bundestagsabgeordnete Frank Schäffler. „Für die FDP ist dieser Wahlabend ein Erdbeben. Die Ampel hängt wie ein Mühlstein um unseren Hals und zieht uns immer weiter in den Abgrund“, resümierte der einst als „Euro-Rebell“ bekannt gewordene Politiker aus Nordrhein-Westfalen. Auch für die Linkspartei setzte sich der Trend nach ganz unten fort. In Bayern ohnehin chancenlos, flog sie nun auch aus dem hessischen Landtag hinaus, dem letzten eines westdeutschen Flächenstaats, der ihr noch geblieben war.
Daß die Stimmung gegen die in Berlin regierende Ampel, die sich in den beiden Landtagswahlen von vergangenen Sonntag Bahn gebrochen hat, kein auf Bayern und Hessen beschränktes Phänomen ist, zeigt eine aktuelle Insa-Umfrage im Auftrag der Bild-Zeitung. 57 Prozent der dort Befragten sprachen sich für Neuwahlen im Bund aus. Nur 31 Prozent sind der Meinung, die Koalition aus SPD, Grünen und FDP sollte bis zum Ende der Legislaturperiode 2025 weiterregieren.
(Grafiken siehe PDF)