© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Der Flaneur
Wir pubertieren
René Langner

Pubertät ist die Zeit, wenn die Eltern anfangen, plötzlich schwierig zu werden“, bringt es meine Frau bei einem Glas Rotwein und mit einem Lächeln auf den Lippen auf den Punkt. Zwei Wochen Familienurlaub neigen sich dem Ende zu. Sonst stellte sich bei mir spätestens jetzt eine wohlige Ruhe ein. Doch diesmal ist es irgendwie anders: Weder fühle ich mich erholt noch entspannt. Vielmehr gestreßt und sogar ein wenig gereizt.

Was habe ich bloß falsch gemacht? frage ich mich selbst. Eigentlich waren meine Planungen perfekt: Ein kultureller Kurztrip in die Stadt, danach ein paar Tage Durchatmen und Wandern in den Bergen mit abschließendem Faulenzen. Rückblickend betrachtet hatten wir eine tolle Zeit. Wäre da nur nicht das ständige Genörgel meiner Kinder gewesen: In jeder Unterkunft war nicht „genug Platz“, um den Eltern aus dem Weg zu gehen. Fast alle Unternehmungen waren entweder zu weit, zu anstrengend oder zu langweilig. Und letztlich hatte ich das ungute Gefühl, daß kein Ort und kein Erlebnis die gesamte Familie begeistern konnte.

Als wir laut lachen, kommen auch unsere beiden Teenager raus auf den Balkon.

Meine Frau merkt natürlich, daß ich enttäuscht, ja vielleicht sogar ein wenig traurig bin. „Sei nicht so hart zu dir selbst. Kinder, besonders in diesem Alter, sehen meist nur die Dinge, die sie nicht hatten oder nicht tun konnten. Und wohl niemals würden sie zugeben, daß sie Spaß mit ihren Eltern hatten.“

Während ich darüber nachdenke, ob ich in meiner Jugend ähnliche Marotten an den Tag gelegt habe, höre ich neben mir den Satz: „Pubertät ist wie ein Wechsel des Betriebssystems bei voller Nutzung.“ Wir müssen beide so laut lachen, daß auch die beiden Teenager auf den Balkon kommen.

Was denn so lustig sei, wollen meine Tochter und mein Sohn wissen. Als wir entgegnen, daß wir uns lediglich über das manchmal etwas verwunderliche Verhalten junger Heranwachsender unterhalten, rollen beide mit den Augen und verschwinden wieder in ihrem Zimmer.

Plötzlich kommt mir Mark Twain in den Sinn, von dem die folgenden Worte stammen sollen: „Als ich 14 Jahre alt war, war mein Vater für mich so dumm, daß ich ihn kaum ertragen konnte. Als ich aber 21 wurde, war ich doch erstaunt, wie viel der alte Mann in sieben Jahren dazugelernt hatte.“ Und so lehne auch ich mich etwas gelassener zurück und hoffe, daß diese sieben Jahre möglichst schnell vorübergehen.