Das Ziel, „eine europäische Astronautin bzw. einen europäischen Astronauten zukünftig auf die Mondoberfläche zu bringen“, macht eigentlich Hoffnung. Formuliert wurde dies in der neuen „Raumfahrtstrategie der Bundesregierung“. Doch die Kernelemente des 60seitigen Papiers sind nicht konkrete Zeitpläne, sondern vor allem Nachhaltigkeit, das Völkerrecht und – passend zur feministischen Außenpolitik – „eine bessere Repräsentation von Frauen in der Raumfahrt auf allen Ebenen“. Dies werde „mit einem ganzheitlichen Konzept für Parität und Diversität“ angegangen, welches Maßnahmen wie den „Girls’ Day“ konsolidiere und eine bewußte Ansprache von Mädchen und jungen Frauen zu Raumfahrtthemen entwickele.
Als größter Beitragszahler der europäischen Raumfahrtbehörde ESA hat Deutschland mit der Ex-Eurofighter-Pilotin Nicola Winter und der Biochemikerin Amelie Schoenenwald schon zwei Frauen in der Reserve des European Astronaut Corps. Spätestens seit Elon Musks Starlink ist die Eroberung des Weltalls keine rein staatliche Sache. Zahlreiche Firmen wetteifern um effektive Lösungen für Weltraumsensorik, Raketenstarts oder Satelliten- und Menschenbeförderung. Dieser Paradigmenwechsel zum „NewSpace“ wird auch von der Ampel zur Kenntnis genommen: Der Gesamtumsatz der weltweiten Raumfahrtökonomie sei seit 2010 von 277 auf 469 Milliarden Dollar (2021) gestiegen.
„Stärkere Nutzung der gestaltenden Rolle des Staates als Ankerkunde“
Deutschland wolle sich hierbei auch auf die Stärken seiner mittelständischen Firmen besinnen, von denen über 400 im Weltraumgeschäft tätig sind. Die „Entwicklung einer Gesamtwertschöpfungskette aus Up- und Downstream in Deutschland“ für den Bau von Kleinsatelliten soll unterstützt werden – über die Details schweigt sich das Papier jedoch aus. Einzig das „Ankerkundenmodell“ wird genannt, womit die Regierung eine Idee des Bundesverbands der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) übernimmt: Dessen Positionspapier verlangt eine „stärkere Nutzung der gestaltenden Rolle des Staates als Ankerkunde“.
Die Begründung für mehr Steuergeld liefert Wirtschaftsminister Robert Habeck im Vorwort: Die Raumfahrt trage „erheblich zur Nachhaltigkeit, zum Schutz des Klimas und dem Erhalt der Biodiversität bei“. Weltraumschrott stellt tatsächlich eine große Gefahr dar, wenn er mit hoher Geschwindigkeit in Satelliten einschlägt und diese beschädigt. Seit 2010 habe sich die Zahl der Schrottobjekte, die größer als zehn Zentimeter sind, mehr als verdoppelt, so daß für eine nachhaltige Raumfahrt und Satellitennutzung dringender Handlungsbedarf bestehe. Satelliten dienen schließlich auch der Beobachtung der „Waldschadensentwicklung und zur Erhebung von Bodeneigenschaften“ sowie zur „Quantifizierung der Gletscherschmelze und des Meeresspiegelanstiegs“. So finden sich unter den 13 Ampel-Schlüsselprojekten die „präzise Emissionsmessung aus dem Weltraum“ und „Cloudplattformen für Klima- und Umweltdaten“.
Deutsche Forschung und Astronauten waren bisher auf die Raumstation ISS angewiesen, deren Zukunft wegen des Zerwürfnis mit Rußland ungewiß ist. Daher soll eine „Expertengruppe zur Ausarbeitung der verschiedenen deutschen Handlungsoptionen im Post-ISS-Szenario“ eingerichtet werden. Sehr ambitioniert ist hingegen der Plan, als „Lunar Gateway“ gemeinsam mit den USA, Japan, Kanada und der ESA eine Raumstation in der Mondumlaufbahn einzurichten als Stützpunkt und Basislager „für die weitere Erforschung und Erschließung des Mondes und darüber hinaus“.
Sogar ein brisantes völkerrechtliches Thema wird angesprochen: Das All ist juristisch weitgehend Terra incognita. Deutschland beteilige sich daher in der Uno „an der Erarbeitung von politisch-verbindlichen Grundsätzen und Normen für ein verantwortliches Staaten-Verhalten im Weltraum, die langfristig in ein rechtsverbindliches Instrument münden könnten“. Ob neben den USA insbesondere China und Rußland bei diesem ambitionierten Vorhaben mitziehen werden, wird allerdings nicht erörtert. Das in Wien angesiedelte United Nations Committee on the Peaceful Uses of Outer Space (Copuos) plant in seiner Arbeitsgruppe „Space Resources“ eine entsprechende Konferenz zu Weltraumressourcen für das kommende Jahr, um die rechtssichere Nutzung des Weltalls in den öffentlichen Fokus zu bringen.
Der zwischen China und den USA ausgebrochene „Wettlauf um die Führungsrolle im All“ wird zwar erwähnt, sonst aber nicht weiter in der Strategie berücksichtigt. Sicherheitspolitisch ist das Weltall längst zu einem Operationsgebiet geworden, denn bei Naturkatastrophen, Krisen und im militärischen Einsatz „kommt der Satellitenkommunikation eine wichtige logistische Funktion zu“ und „Angriffe auf eine Weltrauminfrastruktur bzw. zugehörige Segmente haben das Potential, Länder wirtschaftlich zu lähmen“. Doch abgesehen von Bekenntnissen zur Cybersicherheit der Software schweigt sich die Raumfahrtstrategie zu konkreten Sicherheitsmaßnahmen aus, was auch angesichts der „Zeitenwende“ der Bundeswehr verwundert.
Verwendung der Finanzmittel aus den Corona- und Klimafonds?
Hingegen schreibt der BDLI von konkreten militärischen Anwendungen und fordert, die „Systemarchitekturfähigkeit insbesondere für das Future Combat Air System (FCAS) weiter ausbauen“ zu lassen und die „Nutzung des European Defence Fund (EDF) mit einem eigenständigen Budget, um deutsche Interessen und Fähigkeiten auf europäischer Ebene einzubringen“. Nicht nur in der Sicherheitspolitik ist es entlarvend, was das Papier aus Habecks Ministerium nicht zur Sprache bringt: So wird zwar über die Ariane-6-Trägerrakete als Vorzeigeprojekt der ESA-Raumfahrt gesprochen. Doch fällt unter den Tisch, daß der für Ende 2020 geplante Erstflug nun frühestens 2024 stattfinden soll, während die seit 1996 eingesetzte Ariane 5 im Juli 2023 ausgemustert wurde. Eine Aufarbeitung dieser Fehlplanung wird nicht eingefordert.
Ebenso wenig werden das geringe Budget für Raumfahrt oder die technische Forschung thematisiert, wohingegen der BDLI die Verwendung der Finanzmittel aus Corona- und Klimafonds empfiehlt. Während die Ampel ihre Zukunft in EU-Projekten sieht, fordert der BDLI stattdessen eine stärkere nationale Sichtweise und spricht von deutschen statt europäischen Astronauten auf dem Mond sowie der Entwicklung von Kleinsatelliten (Microlauncher für Nutzlasten von 350 Kilo) als „Beitrag zur nationalen Souveränität“. Hingegen bleibt die Regierungsstrategie eher auf dem Niveau einer Wunschliste, anstatt klare Ziele und Wege zu deren Umsetzung darzulegen.