© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Langer Abschied von der Macht
Vor 60 Jahren trat Adenauer als Bundeskanzler zurück
Erik Lommatzsch

Davongejagt „wie einen Hund“ habe man ihn, beklagte sich Konrad Adenauer, nachdem er als Bundeskanzler zurückgetreten war. Um den einst Mächtigen, der sich lange an das Amt geklammert hatte, war es schlagartig still geworden. Günter Gaus, der als Journalist einen Termin bei dem nunmehrigen einfachen Bundestagsabgeordneten Adenauer hatte, fiel auf, daß dieser überraschend viel Zeit für ihn hatte und während zweier Stunden das Telefon nicht einmal läutete. 

Der Nachkriegsgestalter Westdeutschlands hatte viel dazu beigetragen, daß man allseits erleichtert war, ihn als Kanzler endlich im Ruhestand zu sehen. Am letzten Tag seiner Amtszeit, am 15. Oktober 1963, gab er sich in seiner Abschiedsrede im Bundestag noch einmal ganz als Patriarch: Jedes Volk bedürfe „einer gewissen Lenkung“. Seiner Stimmungslage angemessen, sprach er vor dem Plenum seinen Dank aus, „dem einen mehr und dem anderen weniger natürlich“.

Zu diesem Zeitpunkt stand Adenauer im 88. Lebensjahr. In den Wochen zuvor hatten zahlreiche ehrende Verabschiedungen stattgefunden, die ihm Gelegenheit gaben, sich noch einmal in Szene zu setzen. Glücklich agiert hatte er in den letzten Jahren seiner Kanzlerschaft immer weniger. Bei der Bundestagswahl 1957 konnten die Unionsparteien noch die absolute Mehrheit erzielen, insbesondere das Bild von Adenauer als Initiator der Heimkehr der letzten 10.000 Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion 1955 hatte ihm großen Rückhalt verschafft.

Er wollte Ludwig Erhard als seinen Nachfolger verhindern

Den Königsweg, auf dem Höhepunkt seines Ansehens nicht nur als Kanzler auszuscheiden, sondern seine Karriere als Staatsoberhaupt zu beenden, schlug er im Frühjahr 1959 aus. Zunächst schickte er sich an, als Bundespräsident zu kandidieren. Davon nahm er Abstand, als ihm deutlich wurde, daß er die machtpolitischen Spielräume des Präsidenten überschätzt hatte. So mußte 1959 sein Kabinettsmitglied, Landwirtschaftsminister Heinrich Lübke, in die Bresche springen. Vor allem aber wäre die Kanzlerschaft Wirtschaftsminister Ludwig Erhard zugefallen, was Adenauer unbedingt verhindern wollte. Daß er seine Nachfolge nicht in seinem Sinne zu kanalisieren vermochte und der von ihm –  auch aus irrationalen Gründen – bekämpfte Erhard 1963 schließlich doch das Amt übernahm, betrachtete er selbst als eine der größten Hypotheken seiner letzten Jahre. 

Daß er anläßlich des Mauerbaus am 13. August 1961 nicht sofort nach Berlin kam, wurde ihm verübelt, ebenso seine Rolle in der Spiegel-Affäre vom Herbst 1962. Der Élysée-Vertag vom Januar 1963 wurde gegen seinen Willen aus den eigenen Reihen mit einer stark abschwächenden Präambel versehen. Den Abschied in der laufenden Legislatur hatte ihm die FDP abgepreßt, mit der er seit dem Verlust der absoluten Mehrheit 1961 wieder in einer Koalition regieren mußte. Nach außen blieb die Form ihm gegenüber gewahrt, bis hin zum aufwendigen Staatsakt anläßlich seiner Beisetzung im April 1967.