© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

In Chiles Erinnerungspolitik überwiegen Pinochets „helle Seiten“
Monopolisierte Presselandschaft
(dg)

In den Erklärungen der Regierung des linken Präsidenten Gabriel Boric zum 50. Jahrestag des Militärputsches in Chile vermißt der Historiker Stephan Ruderer (Katholische Universität Santiago de Chile) deutlichere Verurteilungen der bis 1990 währenden Herrschaft des Generals Augusto Pinochet (Aus Politik und Zeitgeschichte, 35-36/2023). Stattdessen werde ausgerechnet von einer politischen Führung, die sich als Nachfolgerin des 1973 gestürzten marxistischen Präsidenten Salvador Allende inszeniere, eine „hybride Erinnerung“ begünstigt. Daher könnten rechte Parteien, Militärs und das Gros der Wirtschaftselite Chiles „Vergangenheitsbewältigung“ dominieren, indem sie „helle Seiten“ der Pinochet-Diktatur beschwören, zu denen sie vor allem die 1973 einsetzende ökonomische Schockbehandlung durch neoliberale „Chicago Boys“ zählen. Deren Programm der Privatisierung, Deregulierung und Entrechtung der Arbeiter zeitigte für die Masse der Chilenen verheerende soziale Folgen, die bis in die Gegenwart fortwirkten. Das kollektive Gedächtnis scheine diese Verwerfungen jedoch nicht zuletzt deshalb zu verdrängen, weil es von einer „monopolisierten Presselandschaft“ konditioniert werde, denn fast alle Fernsehsender und Tageszeitungen befinden sich in der Hand von Unternehmen, die Verbindungen zur Diktatur hatten. 


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