© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Ehe als biologistisches Projekt
Isabel Heinemann vergleicht die eugenischen Bewegungen in den USA und in Deutschland
Oliver Busch

Zum Sommersemester 2023 von Münster nach Bayreuth berufen, skizzierte die Historikerin Isabel Heinemann bei ihrem Einstand dort, wie sie ihre künftige Wirkungsstätte zu einem „Zentrum moderner Zeitgeschichtsforschung“ auszubauen gedenkt. Dabei mied sie kein Plastikwort pseudoelitären Neusprechs, um sich als Fachkraft zu präsentieren, die in jeder Modeströmung ihrer Disziplin schwimmen kann: „Modern, international, interdisziplinär, kritisch und exzellent“ werde sie die „großen Themen“ der Zeitgeschichte anpacken, vom Holocaust über die Geschichte des Rassismus bis zu Analysen von „Gewaltdynamiken, Demokratie, Geschlechterordnungen“ und bis zum „Antifeminismus“ während des Kalten Krieges in den „beiden Regimen“ von BRD und DDR. 

Besonders aber freue sie sich auf die Vernetzung ihres Lehrstuhls mit dem von Susan Arndt geleiteten, von der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung finanzierten Graduiertenkolleg „Intersektionale Studien“, mit dem auf „Rassismus und internationalen Geschlechterfeminismus“ fixierten Exzellenz-Cluster Afrika sowie auf die Mitarbeit an einem im Aufbau befindlichen Bayerischen Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung.

In welchem ideologisch zu ihr so wunderbar passenden Umfeld sich Heinemann tummeln wird, verrät allein schon der Name ihrer seit 2010 in Bayreuth tätigen neuen Kollegin Susan Arndt. Läßt sich die bis 1989 an der Ost-Berliner Humboldt-Universität sozialisierte Anglistin (Schwerpunkte: „Shakespeare, Sexismus, Feminismus, Rassismus“)  und Afrikanistin doch mittlerweile als eine der schrillsten Stimmen „Kritischer Weißseins-Forschung“ vernehmen, die mit den „Mythen des Weißseins“ aufräumen will und die, mit einem 2022 im Duden-Verlag erschienenen Leitfaden, dafür wirbt, „unser rassistisches Erbe“ aus kolonialer Vergangenheit endlich durch die „Entkolonialisierung der deutschen Sprache“ zu entsorgen.

Die geborene DDR-Bürgerin Arndt (Jahrgang 1967) und die „Westlerin“ Heinemann (Jahrgang 1971), die Tochter eines promovierten Oberstudiendirektors aus dem Hunsrück, eint die längst gesamtdeutsche Weltanschauung der Internationale der „Erweckten“, die angetreten sind, die „Normalität“ der nordatlantischen Zivilisation – ethnische und kulturelle Homogenität, Volk, Staat, Nation, Geschlecht, Ehe, Familie – radikal in Frage zu stellen. Eine Normalität, die sich witzigerweise nicht perfekter spiegeln könnte als in den Lebensläufen dieser Erika Musterfrauen. Beide entstammen bildungsbürgerlichen Verhältnissen, führen anscheinend stabile „heteronormative“ Ehen, Arndt ist mit dem SED-Forscher und Walter-Ulbricht-Biographen Ilko-Sascha Kowalczuk, Heinemann mit einem Mathematik-Professor verheiratet, und beide als so „typisch deutsche“ Karrieristinnen sind Mütter von je vier Kindern. Doch was sie privat leben, negieren sie öffentlich. Während Arndt auch in der Basisarbeit universitärer „Anti-Diskriminierungs-Workshops“ ihr „Weißsein“ problematisiert, ist Heinemann im Medium der Zeitgeschichte bemüht, das traditionelle Familienbild zu „dekonstruieren“.

Forschung für die Verbesserung der biologischen Substanz der Familie

Gestartet ist sie mit einer konventionellen Doktorarbeit bei Ulrich Herbert in Freiburg, die sich Planungen zur rassenpolitischen Neuordnung Europas durch das SS-Rasse- und Siedlungshauptamt widmete. Auch das war damals zwar ein Modethema, aber Herberts wetterfühlige Assistentin erkannte bald, daß der Zenit der SS-Forschungskonjunktur im Fach überschritten war. Karrieretechnisch schien es ihr ratsamer, auf „Geschlechterforschung“ umzusatteln. Als Juniorprofessorin in Münster wandte sie sich darum, großzügig alimentiert von der stets zeitgeistfrommen Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), dem Thema „Familienwerte im gesellschaftlichen Wandel“ zu, demonstriert am Beispiel der USA. Eine daraus erwachsene Habilitationsschrift hievte sie 2019 in Münster endlich auf einen Lehrstuhl für neueste Geschichte.

In dieser Monographie über „Ehescheidung, Frauenarbeit und Reproduktion in den USA des 20. Jahrhunderts“ beschäftigt sich Heinemann bereits ausführlicher mit der US-Eugenik-Bewegung, die sie jetzt in einem Aufsatz mit ihrem deutschen Pendant vergleicht: „Die ‘erbgesunde’ Familie als transatlantisches Projekt“ (Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 2/2023). Sie konzentriert sich dafür auf die Protagonisten der eugenischen Beratungspraxis diesseits und jenseits des großen Teichs: auf den  Eugenik-Pionier Paul B. Popenoe (1888–1979) Gründer des zeitweise einflußreichsten, privat finanzierten Ehe- und Familienberatungsinstituts der USA, des American Institute for Family Relations in Los Angeles, und Otmar Freiherr von Verschuer (1896–1969), bis 1945 Leiter des Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, ab 1951 Ordinarius für Humangenetik in Münster.

Unterschiedlicher könnte das Milieu nicht sein, das Popenoes und von Verschuers Aufstieg begünstigte. Hier der amerikanische Selfmademan, der es vom kalifornischen Dattelpflanzer zum erbbiologischen Experten bringt, 1918 als Autodidakt mit „Applied Eugenics“ ein eugenisches Standardwerk vorlegt und als „Mr. Marriage“ zum populärsten US-Ehe- und Familienberater avanciert. Dort der deutsche, ebenso wie Heinemann kräftig von der DFG geförderte Professor als Leiter eines Instituts der Spitzenforschung, der den Rückhalt staatlicher Gesundheitspolitik genießt. Was beide eint, ist die Zielvision, die biologische Substanz der Familie und damit die der Nation durch Beratung, direkte medizinische Eingriffe, Senkung der Scheidungsrate, Stärkung traditioneller Familienwerte und Geschlechterrollen verbessern zu können. Insgesamt waren das Maßnahmen aus dem Instrumentenkoffer des Social Engineering, die während der „Hochmoderne“ zwischen 1920 und 1970 in allen Industriestaaten, in Ost wie West, zur Sicherung des „Fortschritts“ ergriffen wurden. 

Warum für Popenoe dies in den USA geboten schien, verrät Heinemann nicht. Verschuers Motivation wird hingegen klarer durch ihren Hinweis auf die nach 1918 durch Kriegsverluste und wirtschaftlichen Niedergang eskalierte demographische Lage Deutschlands. Zugleich räumt sie nebenbei ein, daß die deutsche eugenische Bewegung ihren ersten Aufschwung nicht im NS-Staat, sondern in der demokratischen Weimarer Republik erlebte. Nicht weniger als 224 Beratungsstellen existierten 1928 allein in Preußen, um die Bevölkerung über Fragen der Fortpflanzung zu informieren.     

Abgesehen davon, daß Heinemann zwei weltanschaulich und praktisch-politisch ähnliche Reformbewegungen, deren Fortschrittslogik unter den Bedingungen der NS-Diktatur in die mörderische Konsequenz der Euthanasie mündete, hier erstmals vergleicht, fördert ihre Studie nichts Neues zutage. Um das zu verdecken, macht sie verschwenderischen Gebrauch von der bei Aktivistinnen nicht nur der Bayreuther „kämpferischen Wissenschaft“ (Walter Frank, 1934) überaus beliebten Denunziationsvokabel „biologistisch“, ohne ansatzweise zu definieren, was sie damit meint. So sieht sie vor und nach 1945 in der auf „eugenische Zurichtung“ und „patriarchale Einschränkung weiblicher Entscheidungsrechte“ fixierten Eheberatung die Kontinuität „biologistischer Ordnungen“, „biologistischer Vorstellungen von Reproduktion und heteronormativer Familie“ und „biologistischer Konzeptionen von Gesundheit und Krankheit“. 

Bliebe die Frage, welche alternative Konzeption etwa von Gesundheit und Krankheit wohl denkbar wäre, als die dominierende „normale“, die sich an körperlichen Funktionen und Fehlfunktionen des biologisch determinierten Menschen orientiert? Gliche diese Konzeption nicht der „Deutschen Physik“ unseligen Angedenkens? 

 www.ifz-muenchen.de