© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

An den Pranger gestellt
Wissenschaftsfreiheit: Gegen einen Münchner Professor läuft ein politisch motiviertes Disziplinarverfahren
Johannes Schönbach

Michael Meyen, 56, lehrt seit 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU). Der gebürtige Rügener ist verbeamteter Lehrstuhlinhaber am Institut für Kommunikationswissenschaften. In den Corona-Jahren hatte er sich mehrfach kritisch über die Maßnahmen der Regierung und die Konformität der journalistischen Berichterstattung geäußert. An dem vorlauten Kommunikationswissenschaftler soll deshalb offenbar ein Exempel statuiert werden.

Momentan liegt der „Fall“ Meyen bei der Disziplinarbehörde der Landesanwaltschaft Bayern. Wie er dorthin kam, darüber existieren Mutmaßungen sowie eine Auskunft der Landesregierung. Die Landesanwaltschaft sei von der Universität „über den Verdacht auf das Vorliegen eines Dienstvergehens informiert und um Prüfung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens gebeten“ worden, heißt es in der Antwort von Kulturstaatsminister Markus Blume auf eine Kleine Anfrage des AfD-Landtagsabgeordneten Gerd Mannes.

Landesregierung beantwortet AfD-Fragen nicht

Die AfD wollte wissen, ob es politischen Einfluß auf die Einleitung des Verfahrens gegeben habe. „Das Präsidium der Universität“, heißt es in dem Antwortschreiben, habe das Ministerium telefonisch über „die Übergabe des Vorgangs an die Landesanwaltschaft informiert.“ Die Aussage, die Universität sei von selbst tätig geworden „und nicht auf Anweisung“, kommentiert ein LMU-Professor, der natürlich anonym bleiben will, „zeugt von einem gewissen sozialistischen Humor“.

Alle weiteren Fragen der Opposition wehrte die Landesregierung mit der Begründung ab, über laufende Verfahren könne keine Auskunft erteilt werden. Auch die leicht zu beantwortende Erkundigung, ob es Vorwürfe gegen Meyen gebe, die auf Äußerungen im Rahmen seiner Lehrtätigkeit beruhten, blieb unbeantwortet. 

Disziplinarverfahren gegen Beamte sind zügig zu führen und zügig einzuleiten, hat das Bundesverwaltungsgericht 2018 nochmals bestätigt. Das Verfahren gegen Meyen läuft nun schon seit Mai. Dabei wären die drei Vorwürfe, die man ihm macht, tatsächlich zügig zu klären. In zwei Fällen handelt es sich um Werbung für die Kleinstzeitschrift Demokratischer Widerstand, die sich vor allem der Kritik an der Corona-Politik widmet und vom Verfassungsschutz dem „Phänomenbereich verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ zugeordnet wird. Für eine kurze Zeit führte sie den Professor – nach dessen Auskunft ohne sein Wissen – als Herausgeber. Als solche firmierten dort allerdings auch der Philosoph Gior-gio Agamben und der Pink-Floyd-Sänger Roger Waters, ebenfalls ohne ihr Wissen; das Blättchen scheint originell zu sein. Da Meyen in zwei Ausgaben als Herausgeber stand, machte die Landesanwaltschaft zwei Fälle daraus. Der dritte Vorwurf bezieht sich auf eine Spende, die der Professor 2019 an den linksradikalen, aber legalen Verein „Rote Hilfe“ überwiesen haben soll, für den unter anderen Kevin Kühnert trommelte.

CSU-Staatsminister Blume hat den Casus Meyen mit einer durchaus suggestiven Formulierung kommentiert: „Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.“ Ob denn die Staatsregierung der Ansicht sei, daß der Professor mit seiner Kritik an den staatlichen Corona-Maßnahmen die „Treue zur Verfassung“ gebrochen habe, wollte die AfD wissen. Antwort: Die „suggestive Formulierung“ dieser Frage unterstelle „eine spezifische Wertung“ der Aussage Blumes, welche die Staatsregierung zurückweise. 

„Die Landesregierung gibt mit ihren Antworten indirekt zu, daß die Vorwürfe, die man Professor Meyen macht, nichts mit seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit zu tun haben“, kommentiert der AfD-Abgeordnete Mannes. „Wir finden es skandalös, daß einem Beamten die grundgesetzlich geschützte Freiheit der Lehre und Forschung genommen werden soll, weil er die Corona-Maßnahmen kritisiert hat.“

Wie immer in solchen Fällen hatten übrigens Vertreter der Gesinnungspresse die Anklageschrift verfaßt. Zeit Campus titelte: „Ein Professor driftet ab“ und schob in der Unterzeile – man kennt dort offenbar das Grundgesetz nicht – die Frage nach: „Warum darf er noch lehren?“ Die Süddeutsche Zeitung überschrieb einen Artikel mit: „Professor Meyen wird ein Fall für den Verfassungsschutz“. Der Angeschuldigte selbst beteuert, er habe nie etwas gesagt oder getan, was im Widerspruch zur Bayerischen Landesverfassung stehe.

Der gewünschte Effekt ist gleichwohl eingetreten. Meyen sieht sich heute „im Kollegenkreis isoliert“, und der Forschungsverbund „Das mediale Erbe der DDR“, dessen Sprecher er war, hat sich öffentlich von ihm distanziert. Die Begründung der Erkunder des medialen DDR-Erbes bezeugt tiefe Vertrautheit mit der Materie: Meyen sei „mit Äußerungen aufgetreten, die wir für problematisch halten“, so habe er zum Beispiel „dem Staat unterstellt, Medieninhalte systematisch zu steuern und abweichende Meinungen zu unterdrücken“.

Man sieht: Auch ein lange schwebendes Verfahren entfaltet seine erzieherische Wirkung. Der Betroffene, der in der DDR aufgewachsen ist und in Leipzig Journalismus studiert hat, fühlt sich an die damalige Zeit erinnert – ein Grund mehr, ihn, sollte man ihn am Ende doch nicht loswerden, wenigstens dauerhaft zu stigmatisieren.