© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Dorn im Auge
Christian Dorn

Exzellente Überwachung: Das Excel-Programm von Windows, das unversehens meine „Libre Office“-Dateien blockiert respektive gekapert hat, versucht nun auch meine Eintragungen zu diktieren: Wenn ich in einer vertikalen Spalte direkt hintereinander die Notiz „vs. Willkommenswahn; vs. Überfremdung“ eintrage, verweigert das Programm bei der wiederholten Eingabe – eine Spaltenzeile darunter – die automatische Ergänzung. Als ich zur Gegenprobe „vs. Nationalsozialisten; vs. Faschisten“ eintippe, wird dieser Inhalt bei jeder neuen Zeile automatisch ergänzt. Ebenso versucht das KI-Programm von Microsoft diese Kolumne ideologisch neu auszurichten: Als ich bei Einschalten des Rechners automatisch mit dem KI-Chat-Programm konfrontiert werde, wage ich die Probe aufs Exempel und bitte das Programm, eine Kolumne unter dem Titel „Dorn im Auge“ zu schreiben. Die Antwort darauf charakterisiert zunächst treffend die inhaltlichen Anforderungen sowie die sprachlichen Stilmittel einer solchen Kolumne, um dann plötzlich in Sekundenschnelle einen Text vor meinen Augen zu präsentieren, der mich – kaum habe ich es „realisiert“ – in ein aberwitziges Gelächter ausbrechen läßt: Zum einen ist der Text exakt so lang, wie diese Kolumne in Wirklichkeit ist, zum anderen ist es ein agitatorisches Stück für den Verzicht auf das Auto und für das Bekenntnis zum Fahrrad. Hinzu tritt das unglaublich schlichte Konstrukt der Textkomposition, das mir nur zu bekannt vorkommt.

Ein KI-Programm verwickelt mich in ein politisch korrektes Verhör.

Als ich wenig später erneut – wieder ungewollt – mit dem KI-Assistant konfrontiert werde, will ich diesen abermals zwingen, eine Kolumne unter diesem Titel zu schreiben, diesmal allerdings unter Verwendung der Begriffe „Asylant“, „Fachkraft“, „Delinquent“ und ähnlicher Worte. Daraufhin verwickelt mich das Programm in ein politisch korrektes Verhör, um mir am Ende mitzuteilen, es sei außerstande, einen solchen Text zu schreiben. Dennoch wünscht es mir viel Glück beim Verfassen – so zumindest meine Erinnerung. Und die ist – nach Jean Paul – bekanntlich das einzige Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können.


Doch die digitalen Mächte geben nicht auf. Am Wochenende werde ich, noch bevor ich mich auf dem Rechner anmelden kann, mit der neuesten Verheißung konfrontiert: „Setze der Ewigkeit ein Ende in DEATHLOOP – jetzt mit PC Game Pass“. Als ich die Spielanleitung überfliege, höre ich aus dem Radio die Nachrichten über eine Behördenkonferenz zur Cyber-Sicherheit, wenn etwa „die Ampel“ nicht mehr geht – die Regierungsbank läßt grüßen. Doch nicht nur die. So sieht der von der EU verabschiedete „Digital Services Act“ ganz besondere Überwachungszenarien vor. Laut EU-Kommissar Thierry Breton, der nicht nur für den Binnenmarkt und Dienstleistungen zuständig ist, sondern auch für Verteidigung und Raumfahrt in der Kommission von der Leyen, sei man bereit, alle sozialen Netzwerke in Europa abzuschalten, sollten hier Unruhen drohen. Breton jüngst wörtlich: „Wir haben Teams, die sofort eingreifen können.“ Warum nicht gleich „Teamviewer“?