Im September sorgte Außenministerin Annalena Baerbock erneut für diplomatische Verstimmungen. Während einer USA-Reise stellte die Grüne den chinesischen Staatspräsidenten und KP-Chef Xi Jinping in einem Interview beim rechten TV-Sender „Fox News“ in eine Reihe mit den „anderen Diktatoren auf der Welt“. Die Pekinger Machthaber zitierten daraufhin die deutsche Botschafterin Patricia Flor zum Rapport ein – mehr passierte aber nicht. Baerbocks Fauxpas steht im Gegensatz zur neuen China-Strategie der Ampel-Regierung, die vergangene Woche im Bundestag diskutiert wurde. Darin wird die „Volksrepublik“ und zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt nicht als Diktatur, sondern als „Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale“ bezeichnet.
Die beiderseitige Abhängigkeit ist hoch: 2022 wurden Waren für 299 Milliarden Euro zwischen Deutschland und China gehandelt – mit den USA waren es 248,5 Milliarden Euro. Doch Deutschland braucht China mehr als umgekehrt. Dies belegt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Report 43/23). Unsere Importe aus China summierten sich voriges Jahr auf 192 Milliarden Euro. Und darunter waren längst nicht mehr nur „Billigprodukte“. Auch bei wichtigen Industriegütern ist Deutschland längst vom Reich der Mitte abhängig. Dabei zeigt sich, daß ein Blick auf die nackten Zahlen nicht die Brisanz erklärt. Denn oberflächlich sieht es so aus, als hätte sich Deutschland ein wenig aus der chinesischen Abhängigkeit befreien können.
„Die importseitige Abhängigkeit ist ein geopolitisches Risiko“
Die deutschen Exporte Richtung China sind im ersten Halbjahr 2023 gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 8,4 Prozent zurückgegangen, die Einfuhren aus China sogar um 16,8 Prozent. Das deutsche Handelsbilanzdefizit mit China ging somit auf knapp 30 Milliarden Euro zurück. Vor einem Jahr hatte es noch bei 41 Milliarden Euro gelegen. Doch ein Großteil des Rückgangs läßt sich durch „Sondereffekte“ erklären: Demnach importierte Deutschland in der ersten Hälfte des Vorjahres noch ungewöhnlich viele organische Grundstoffe und Chemikalien aus China. Dies ist mittlerweile zurückgegangen. „Damit lassen sich 86 Prozent des aktuellen Importrückgangs erklären“, so das IW.
2022 stellte das IW fest, daß die deutsche Abhängigkeit von China so groß sei wie niemals zuvor. „Der starke Anstieg im vergangenen Jahr dürfte ein Zeichen dafür sein, daß die Entwicklung nicht nur coronabedingt war, sondern länger anhält“, erläuterte Jürgen Matthes, Leiter des IW-Clusters Internationale Wirtschaftspolitik, und fügte damals hinzu: „Diese Entwicklung ist höchst problematisch. Unsere importseitige Abhängigkeit ist ein geopolitisches Risiko.“ Im Falle eines bewaffneten Konflikts um Taiwan sei die deutsche Wirtschaft erpreßbar. Und daran hat sich wenig geändert. Bei den Produkten, die für die deutsche Industrie wichtig sind, etwa Maschinen oder chemische Grundstoffe, zeigen sich nur bei jeder zweiten Produktgruppe kleinere Anteilsrückgänge.
Nach Ansicht der IW-Forscher gibt es dafür zwei Gründe, die für eine geschickte Strategie Chinas sprechen. China biete auch aufgrund massiver staatlicher Subventionen billig an. Zudem soll China mehr und mehr Druck auf deutsche Firmen ausüben, chinesische Tochterfirmen in ihre Lieferketten einzubinden. „Deutschland hat beim De-Risking von China noch einen langen Weg vor sich“, warnt Matthes und richtet einen Appell an die Ampel: „Um die Abhängigkeitsrisiken besser einschätzen zu können, brauchen wir ein viel genaueres Monitoring. Die Bundesregierung ist in der Pflicht, die notwendigen Mittel für diese anspruchsvolle Aufgabe im Rahmen ihrer China-Strategie bereitzustellen“.
Auffallend ist die chinesische Expansion auf dem EU-Automarkt. Der Import von Fahrzeugen und Motoren aus China nach Deutschland ist innerhalb eines Jahres um fast 250 Prozent gestiegen. China produziert seine E-Autos billig, und durch die deutsche „Umweltprämie“ von 6.750 Euro werden sie noch günstiger. Zudem sind die Chinesen der deutschen Konkurrenz beim Bau von Batterien für E-Mobile einen Schritt voraus. Die düstere Prognose der IW-Forscher: „In Zukunft dürfte die Entwicklung der deutschen Autoindustrie weltweit weniger als früher der Entwicklung der deutschen Autoindustrie am Standort Deutschland nützen.“
Handels- und Wirtschaftsdaten zu China: gtai.de