© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Keine klare Kante gegen die böse AfD
IW-Studie: Befragung zu Wahlverhalten und Wirtschaftslage / Energiepreise und Ampelpolitik sind das größte Standortrisiko
Paul Leonhard

Hatten Anfang September mehrere Unternehmervertreter in Mitteldeutschland angesichts des Aufwärtstrends der AfD vor massiven Folgen für die heimische Wirtschaft gewarnt, so zeichnet sich in einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW-Kurzbericht 63/23) unter Hauptgeschäftsführern der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland ein anderes Bild ab. Zwar stimmte fast jeder zweite Befragte der vorformulierten Aussage zu, ein Erstarken der AfD auf betrieblicher Ebene führe zu „Schwierigkeiten, in AfD-Hochburgen Fachkräfte aus dem Ausland zu gewinnen“. Mit seiner Behauptung, die AfD sei „das größte Standortrisiko für Ostdeutschland“, steht Finanzminister Christian Lindner (FDP) indes ziemlich alleine da.

Die Hauptgefahr für den Wirtschaftsstandort seien unzureichende Digitalisierung, Fachkräftemangel, mangelhafte kommunale Daseinsvorsorge und Infrastruktur, hohe Abgabenbelastung sowie ausufernde Bürokratie – also hausgemachte Probleme der in den vergangenen zwei Jahrzehnten regierenden Parteien. Und die Ampel-Koalition hat es innerhalb weniger Monate fertiggebracht, alle Weichen in Deutschland sogar auf Deindustrialisierung zu stellen.

Bei einer Umfrage des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen landete Deutschland auf Rang 18. Gefragt worden war, wo Unternehmer den Standort Deutschland einordnen würden. 21 Nationen standen zur Wahl. Hohe Energiepreise, Inflation und Fachkräftemangel gelten als aktuelle Hauptbelastungen für den Standort, was die Stimmung der Wirtschaft eintrübt – und was wiederum als eine Ursache für den Höhenflug der AfD gilt.

Das Risiko für den Wirtschaftsstandort durch die Grünen wurde auch in der IW-Umfrage größer bewertet als durch die AfD. Eine Ausnahme bildet Christian Haase, Chef des Leipziger „Energiebrokers“ Kilowatthandel AG. Der sächsische Landeschef der Familienunternehmen sagte dem Tagesspiegel, die „AfD würde unserem Wirtschaftsstandort massiv schaden“, da Forderungen der Partei wie ein Austritt aus der EU oder eine „strikte Unterbindung von Zuwanderung“ in eine Sackgasse führten. Allerdings halten die Befragten die EU und ihre Institutionen für reformbedürftig, auch wenn sie sich scheuen, „dies klar zu benennen, um nicht von der AfD vereinnahmt zu werden oder die EU-Skepsis in der Bevölkerung zu befeuern“, heißt es in der Studie. Offenbar treibe die Verbandsvertreter die Sorge um, euroskeptischen Positionen Vorschub zu leisten.

Sorge um Industriearbeitsplätze erhöht das Zweitstimmenergebnis?

Auch die IW-Autoren Knut Bergmann und Matthias Diermeier erhofften sich offensichtlich bei ihrer Umfrage eine klare Kante gegen die AfD, jedenfalls bemühten sie sich, den Leser bei der Einordnung der Ergebnisse auf die „richtige Spur“ zu lenken: Bei allen Einschätzungen sei grundsätzlich zu beachten, „daß eine Regierungsbeteiligung der AfD insbesondere auf der für die Wirtschaftspolitik besonders einflußreichen Bundesebene noch auf lange Zeit ausgeschlossen sein dürfte“.

Im neuen IW-Kurzbericht (71/23) gehen die Autoren nun der Frage nach, warum die AfD besonders gute Wahlergebnisse in Industrieregionen erzielt. Im Gegensatz zum Narrativ, nach dem die sozial schwachen Schichten (Sigmar Gabriels „Pack“) die AfD wählen, sind es Umfragen zufolge meistens Bürger, die etwas zu verlieren haben. „Die positive Korrelation zwischen Industriearbeitsplätzen und AfD-Zweitstimmenergebnis bestätigt sich bei der Bundestagswahl 2021“, heißt es in der IW-Studie. Möglicherweise wirke sich dort, wo die Deindustrialisierung weniger weit fortgeschritten ist, als in anderen Ländern, vielmehr „die Sorge um den zukünftigen Industriestandort aus, die sich in einem rechtspopulistischen Reflex in Industrieregionen spiegelt“ – eine Art politisches „Verlustunternehmertum“.

Gleichzeitig weisen die von der Transformation betroffenen Regionen eine besonders hohe Verunsicherung der Arbeitnehmer auf, was sie aber nicht zwangsläufig zu AfD-Hochburgen macht. Dazu wurden 117 besonders betroffene Landkreise oder kreisfreie Städte (91 West; 26 Ost) untersucht. Die AfD-Bundestagswahlergebnisse 2021 fallen hierbei zwischen Görlitz (32,5 Prozent) und Schwerin (13,7 Prozent) sowie Pforzheim (15,9 Prozent) und Mainz (4,4 Prozent) weit auseinander.

Deutlich wird auch, daß sich die Bürger in diesen Regionen von den Regierenden, die die grüne Transformation beschlossen haben, im Stich gelassen fühlen. Politiker wie Michael Kretschmer (CDU) befeuern das noch. So trat der sächsische Ministerpräsident jetzt aus dem 1975 gegründeten Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) aus, weil er versehentlich zusammen mit AfD-Politikern auf der Internetseite als Mitglied eines Beirates geführt wurde. Brandmauern sind Kretschmer anscheinend wichtiger als wirkungsvolles Wirtschaftsengagement.

Im Frühjahr 2023 machten sich 38,2 Prozent der Befragten große Sorgen um die Wirtschaftsentwicklung; 30,7 Prozent äußerten dabei Ängste um ihre eigene wirtschaftliche Situation. Am meisten sorgen sich AfD-Anhänger: 62,1 Prozent gaben an, sich große Sorgen um die allgemeine wirtschaftliche Lage zu machen, 47,1 Prozent um die eigene wirtschaftliche Situation. Gefragt sei hier nicht der nachsorgende Sozialstaat, sondern der vorsorgende Investitionsstaat samt investitionsförderlicher Politik, leiten die Studienautoren als „politische Lehre“ aus ihrer Analyse ab: „Wer dem Rechtspopulismus sozialpolitisch beikommen will, sollte bedenken, daß AfD-Anhänger seit Parteigründungszeiten Umverteilungspolitik selbst zu eigenen Gunsten ablehnen.“

„AfD in von Transformation betroffenen Industrieregionen am stärksten“ (IW-Kurzbericht 71/23): www.iwkoeln.de