Der Sonntag war in der Slowakei an Spannung kaum zu überbieten, denn das kleine EU-Land (etwa 5,5 Millionen Einwohner) hat gewählt. Ein Parlamentsneuling schickte sich an, die altgedienten Sozialdemokraten um Ex-Premier Robert Fico zu besiegen. Würde es Michal Šimečka mit seiner linksliberal-grünen Partei „Progressive Slowakei“ (PS) aus dem Stand heraus nicht nur ins Parlament in Preßburg, sondern auch noch an die Spitze der neuen Regierung schaffen?
Lange sah es so aus, schließlich ist auch Staatspräsidentin Zuzana Čaputová eine PS-Parteifreundin von Šimečka, aber letztlich holte die links-nationalistische Smer-SSD um Fico auf. Am Ende entschieden sich 22,9 Prozent der Wähler für Fico und lediglich 18 Prozent für den Vizepräsidenten des EU-Parlaments Šimečka. Das dürfte in Brüssel, Berlin und auch in Kiew für lange Gesichter gesorgt haben, denn nun droht auch die Slowakei aus dem proukrainischen Kurs der EU auszusteigen.
Doch der eigentliche Sieger der Parlamentswahl in der Slowakei stand schon frühzeitig fest: der 47jährige Ex-Smer-Politiker Peter Pellegrini. Zwar erreichte seine erst vor drei Jahren gegründete Mitte-Links-Partei HLAS mit 14,7 Prozent der Wählerstimmen lediglich den dritten Platz, aber „ohne uns kann keine Regierungskoalition gebildet werden“, sagte der frühere Premier Pellegrini nach der Veröffentlichung der amtlichen Endergebnisse und fügte hinzu: „Ich spüre die enorme Last, die HLAS auf ihrem Rücken trägt.“
Noch am Wahlabend ging Šimečka auf Distanz zum links-nationalistischen Wahlsieger: Der Triumph der Sozialdemokraten sei „eine schlechte Nachricht für unser Land, für unsere Demokratie und unser Ansehen im Ausland, die noch schlechtere Nachricht wäre es, wenn Robert Fico nun eine neue Regierung bildet“.
Daß Fico das schafft, ist zwar wahrscheinlich, aber nicht gewiß. Nach dem vorläufigen Wahlergebnis werden sieben Parteien ins Parlament einziehen. Die Smer-SSD besetzt 42 Plätze, die PS 32, die HLAS, eine Abspaltung der Smer-SSD, 27. Der konservative Zusammenschluß OĽaNO (Gewöhnliche Menschen) erhält 16 Sitze, die Christlich-Demokratische Bewegung (KDH) zwölf, die rechtsliberale Freiheit und Solidarität (Saska) elf und die rechtskonservative Slowakische Nationalpartei (SNS) zehn. Das bedeutet in jedem Szenario zumindest eine Dreierkoalition, da die pro-EU orientierte PS nicht mit der Kreml-freundlichen Smer-SSD zusammenarbeiten wird.
Das Zünglein an der Waage ist also die HLAS-SD, wie Pellegrini richtig erkannt hat, der bereits „noch viele Tage Verhandlungen“ prophezeit. Pellegrini hat Fico 2018 als Regierungschef beerbt, als dieser im Zusammenhang mit dem Mord an dem Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten zurücktreten mußte, scheiterte selbst allerdings 2020 und gründete eine eigene Partei.
Abgesehen davon, daß Fico den Ex-Parteifreund als „Verräter“ verunglimpft, ist die Schnittmenge beider Parteien groß, wenn auch Pellegrini sich im Wahlkampf weniger prorussisch zeigte als Fico. Beide wollen die slowakische Militärhilfe für die Ukraine stoppen, Fico sogar die EU-Sanktionen gegen Rußland auf den Prüfstand stellen und aktiv Friedensverhandlungen anschieben.
Ob unter Fico, der die Ukraine als von den USA gelenkte Kriegstreiber bezeichnet, die Slowakei noch als Transitland für Nato-Waffenlieferungen in die Ukraine und als Reparaturbasis für ukrainische Waffen zur Verfügung stünde, wäre offen. Eine gute Nachricht für die Deutschen und Franzosen ist, daß Fico die Grenzkontrollen zu Ungarn wieder aufnehmen und damit die Balkanroute für Flüchtlinge schließen will, notfalls durch den Einsatz der Armee.
Robert Fico will das Land wieder näher an Rußland führen, auch eine Mehrheit der Slowaken will das. Nach einer Meinungsumfrage der slowakischen Denkfabrik Globsec Centre for Democracy and Resilience von Ende Mai in acht mittel- und osteuropäischen EU-Ländern zeigten die Slowaken die stärkste prorussische und antiwestliche Haltung. Verfassungsgemäß hat Präsidentin Čaputová zunächst den Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt.
Orbán gratuliert den slowakischen „Patrioten“
Auf dessen Scheitern hofft der zweitplatzierte Šimečka. Auch dieser würde mit der HLAS-SD und mehreren kleinen Parteien koalieren. Ex-Premerminister Pellegrini wiederum gilt als skrupellos genug, um sich für denjenigen zu entscheiden, der ihm und seinen Gefolgsleuten das beste Angebot macht.
Werde Fico zum dritten Mal (nach 2006 bis 2010 und 2012 bis 2018) Regierungschef, würden „viele junge, gut ausgebildete Slowakinnen und Slowaken überlegen, ob sie in diesem Land noch ihre Zukunft sehen – oder ob sie weiter in den Westen ziehen, nach Tschechien, Skandinavien oder Deutschland“, prognostizierte Marianne Allweiss vom ARD-Studio Prag. Innenpolitisch katapultiere sich die Slowakei in die Vergangenheit zurück und mit der „Rückkehr eines korrumpierten Staates“ werde es auch „weitere Angriffe gegen liberale Politiker, gegen Nichtregierungsorganisationen oder die LGBTIQ-Gemeinschaft“ geben. Dennoch zeigte sie sich kämpferisch: Die slowakische Zivilgesellschaft sei stark und die Medienlandschaft „lebendig“.
Fico dürften die Mahnungen aus Deutschland wenig interessieren. Der 59jährige ist kein
Dogmatiker, sondern ein mit allen politischen Wassern gewaschener Politiker, der das Land in den Euro geführt hat. Was ihn aber gefreut haben dürfte, ist eine Nachricht aus Budapest: Von dort gratulierte Viktor Orbán: Er freue sich auf die Zusammenarbeit mit den slowakischen „Patrioten“.