© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Zu Lasten aller
Energiewende: Einmal angefangen, will die Bundesrepublik den totalen Stromumbau vollenden. Überall suchen Kommunen und Behörden nach neuen Plätzen, um dort mehr Solar- und Windkraftwerke hinzupflanzen
Mathias Pellack

Deutschland betreibt die Energiewende mit solchem Eifer, daß schützenswerte Güter – salopp gesagt – einfach unter die Windräder kommen. Oder unter Solarplatten. 370 Hektar Wald sollen dem Solarpark Hohensaaten und einem anschließenden Industriegebiet weichen. Der Investor beurteilt den Wald in der Nähe von Berlin als minderwertig. Anwohner und eine Bürgerinitiative sehen das anders. Sie wollen den Bestand schützen.

Laut der Investorenfirma Lindhorst aus Niedersachsen stehe auf dem Stück Land eine Monokultur aus Kiefern. Diese schnellwachsenden Bäume lagern pro Festmeter Holz verhältnismäßig wenig Kohlendioxid ein. Es zwar unrealistisch, daß es sich tatsächlich um eine Monokultur handelt, da das abgezäunte Gebiet nicht bewirtschaftet wird, doch selbst wenn es so wäre, würden bei der Rodung einer derart großen Fläche immer noch über 200.000 Tonnen Kohlendioxid (CO2) in die Umwelt gelangen. Das ist so viel wie eine 50.000-Einwohner-Stadt wie Baden-Baden in einem Jahr ausstößt. Die im Vergleich zu einem Kernkraftwerk ohnehin dreimal höhere CO2-Belastung pro Kilowattstunde durch Bau und Betrieb einer Solaranlage wächst damit nochmals.

Laut Martin Gemeinholzer von der Initiative „Pro Wald Hohensaaten“ stehen „hier diese gesunden Bäume“, die der Waldzustandsbericht des Landwirtschaftsministeriums auf acht Prozent des Baumbestands in Brandenburg bemißt. „Wir müssen den Wald besser schützen und am besten auch noch mehr Waldflächen in Brandenburg haben.“ Doch auch Windräder rücken dem Klimahelfer Nr. 1 – dem Wald – zu Leibe. Im Schnitt gelten in Deutschland etwa 20 Prozent des Waldes als gesund.

In Sachen Windräder ist Deutschland spitze. Die Lokalzeitungen überschlagen sich mit Meldungen, wo bald das weltweit höchste stehen soll: Bayern, Brandenburg, Thüringen, Niedersachsen haben Kandidaten. Gegenwärtig steht bei Stuttgart in Baden-Württemberg eines der höchsten. Es mißt 246,5 Meter bis zur Flügelspitze und ist damit ein Zwerg im Vergleich zu dem, was bei Paderborn errichtet werden soll. Ein bisher unerreichter Riese von 363 Metern Gesamthöhe. 

Der hat das Potential nicht nur die örtliche Landschaft, sondern auch die lokale Gesellschaft zu spalten. In den Augen des Windkraftbetreibers ist diese neuartige Technologie der Höhenwindräder kein Problem: Die allgemeine Vorprüfung habe ergeben, daß eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht erforderlich sei, da keine erheblichen nachteiligen Umweltauswirkungen erwartet würden. Klar, denn sie wäre weltweit die erste ihrer Art. Die Anlage soll im Windpark Altenautal auf dem Gebiet der Stadt Lichtenau stehen.

„In Deutschland standen zum Ende des Jahres 2022 insgesamt 28.443 Onshore-Windenergieanlagen“, so der Bundesverband Windenergie. In bezug auf das Jahr 2020 mit seinen 29.608 Windrädern onshore sind das 1.165 weniger. Der Rückgang läßt sich mit dem Rückbau alter und wenig effizienter Anlagen erklären. Es gibt einfach nicht mehr genug Platz, um das Windkraft-Ausbauziel der Bundesregierung einhalten zu können, moniert der Verband.

Die bei Paderborn und an anderen Orten geplanten Giganten gehören zu den Höhenwindanlagen, deren Naben in 200 Metern und mehr Höhe liegen. Hier oben weht beständiger und kräftiger Wind. Experten erwarten einen grundsätzlich höheren Energieertrag. Befürworter der neuen Giganten versprechen, daß so die Anzahl der Windräder auf etwa 23.900 Anlagen reduziert werden könnte, da die Energieernte weitaus höher sei. Unabhängige Untersuchungen wie eine Simulation der NZZ zeigen, daß Windkraftanlagen fast ausschließlich an den Küsten von Nord- und Ostsee wirtschaftlich rentabel sind. 

Der Leiter des Stuttgarter Lehrstuhls für Windenergie, Po Wen Cheng, hält bei den Vergütungen von 2022 eine Auslastung von mindestens 30 Prozent für einen wirtschaftlichen Betrieb einer Windkraftanlage für realistisch. Diesen Wert überschreiten im Landesdurchschnitt aber nur die Anlagen Schleswig-Holsteins gerade so mit 31 Prozent Auslastung in den vergangenen zehn Jahren, so die großangelegte Berechnung mit Hilfe von Daten der Windkraftbetreiber und Wetterdaten der Nasa. Schon das Bundesland mit den zweitmeist ausgelasteten Anlagen, Mecklenburg-Vorpommern, liegt mit 29 Prozent darunter. Die Windkraftwerke im drittplatzierten Niedersachsen kommen zusammen nur noch auf 25 Prozent Auslastung. Die letzten Plätze belegen demnach die großen Energieverbraucher Bayern (19 Prozent), Sachsen (19 Prozent) und Baden-Württemberg (17 Prozent). Ob die Höhenwindräder die schlechte Wirtschaftlichkeit ändern können, steht noch in den Sternen. Beim Größenwachstum der vergangenen Jahre wurden bisher immer weitere Flächen mit Windanlagen bebaut. Andere Schätzungen gehen daher von einem Zuwachs des Windkraftwaldes auf bis zu 35.000 Kraftwerke aus. 

500.000 Tonnen unrecycelbare Windradflügel stehen schon im Land

Fläche ist ein endliches Gut. Die gegenwärtigen Anlagen stehen auf einem Betonsockel von circa 100 Quadratmetern. Doch in der Nähe sollte nichts weiter stehen. Der tatsächliche Landverbrauch variiert daher zwischen 0,5 und einem Hektar. Die neuen Höhenwindräder müßten statt einem Sockel vier haben, so daß sie wie riesige Hochspannungsleitungen im Boden verankert sind. Das bedeutet wiederum mehr versiegelte Flächen und mehr nicht-recycelbare Abfälle. 1.300 Tonnen Beton werden bisher in einer Standardwindkraftanlage verbaut – das würde etwa für sechs Einfamilienhäuser genügen. Dazu kommen 290 Tonnen Stahl, 50 Tonnen Eisen, 24 Tonnen Fiberglas und dazu noch eine Reihe seltener Erden. Die je 20 Tonnen schweren Flügel der Anlagen lassen sich nicht recyceln. Nach spätestens 20 Jahren müssen diese erneuert werden.

Anlagen wie diese sollen auch im Märchenwald, dem Reinhardswald in Hessen eingesetzt werden. Hessen und Rheinland-Pfalz teilen sich den ersten Platz hinsichtlich der Bewaldung. Über 42 Prozent der Landesfläche sind bewachsen. Daher ist es für diese Bundesländer besonders schwierig, die bundespolitische Vorgabe, zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft zu nutzen, umzusetzen. Der Aufwand und die Naturzerstörung sind ungleich größer als etwa in Schleswig-Holstein, das nur zu elf Prozent mit Wald bedeckt ist.

Ein Streit des örtlichen Windparks Reinhardswald mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) ist im September derart eskaliert, daß der Windparkbetreiber ein Angebot für einen gerichtlichen Vergleich zurückgezogen hat. Der Windparkbetreiber lehnt die Forderung nach einer bestimmten Mindestgröße an Ausgleichsflächen zum Naturschutz ab. Die Kosten dafür seien völlig unklar. In den Augen der SDW kämpfen hier Klimaschützer gegen Schützer der Biodiversität. Die SDW sorge sich schon allein wegen der Funktion als Kohlenstoffsenke um die alten Wälder.

Weiter böten Wälder zahlreichen gefährdeten Tier- und Pflanzenarten geeigneten Lebensraum. Sie seien „Naturreservoir, fungierten überdies als Wasserspeicher und schützten vor Hochwasser, filterten Staub und Schadstoffe aus der Luft, dämpften in Hitzesommern die Temperaturausschläge und kühlten die Siedlungen und dienten der Erholung der Bevölkerung. Kurzum: „Der Wald ist daher ein echter Alleskönner, während Windenergieanlagen nur Strom produzieren können, sofern der Wind weht.“ Etwa 29 Hektar würden für den Bau der Windkraftanlagen teilweise dauerhaft zerstört werden.

Doch neben den direkten Schädigungen des Waldes gibt es noch weitere Faktoren, die das Ökosystem belasten. So zeigen Berechnungen des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) von 2019, daß die etwa 30.000 Windkraftanlagen in Deutschland jährlich etwa 1.200 Tonnen fliegende Insekten töten. Zuvor herrschte wissenschaftlicher Konsens darüber, daß Windkraftanlagen gar kein Problem für den hiesigen Insektenbestand darstellen. Doch Schätzungen sagen, daß Vögel in deutschen Wäldern jährlich etwa 400.000 Tonnen Insekten vertilgen. Daß Vögel und auch Fledermäuse wiederum ebenfalls den Anlagen massenhaft zum Opfer fallen, ist inzwischen gut belegt. Die Experten streiten sich nur über die tatsächlichen Zahlen. Geschätzt wird die Opferzahl auf 100.000 jährlich im Bundesgebiet.

Für die Verteilung der vornehmlich an der Küste erzeugten Windenergie werden nun unter anderem neue Elbtunnel gebohrt. Suedlink heißt eines der drei großen Projekte, bekannter ist es unter dem Schlagwort der Stromautobahn. Den Baustart hat am Montag, den 11. September der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck begleitet. Die zwei großen Leitungen mit je zwei Gigawatt sollen den Strom von der Küste in die Industriegebiete Bayerns und Baden-Württembergs bringen. Das Projekt hätte eigentlich schon längst fertig sein sollen. 2028 sollen dann vier Gigawatt durch die 700 Kilometer Leitungen fließen können.

Seit den allerersten Planungen 2011 haben Bürgerinitiativen den Bau gebremst. Ursprünglich sollte die komplette Strecke als Oberleitungen verlegt werden. Bundesweit gab es jedoch entlang der ganzen Trasse Proteste dagegen. Der „Bundesverband gegen Suedlink“ meint dabei ganz klar: „Nach wie vor ist das Bundeswirtschafsministerium (BMWi) nicht in der Lage, ein Konzept für einen nachhaltigen Energiewendeplan zu erstellen und vergeudet dabei Millionen an Steuergeldern.“ Große Lobbyverbände zeichneten verantwortlich für viele Entscheidungen des BMWi, die nicht mit der Energiewende vereinbar sind, so der Verband. Der glaubt, die Energiewende ganz ohne den Ausbau der Übertragungsnetze und ohne jede Atomkraft gestalten zu können. Stattdessen wolle man immer noch mehr Wind- und Sonnenstrom im Süden Deutschlands ernten. Von Problemen wie beispielsweise dem einer Dunkelflaute hat man hier wohl noch nicht gehört. Die letzte Alternative der Speicherung großer Energiemengen steckt noch völlig in den Kinderschuhen. Die größte Batterie Deutschlands in Jardelund in Schleswig-Holstein kann für eine Stunde lang 48 Megawatt bereitstellen.