Hessen bleibt stabil“, heißt es selbstgewiß auf einem CDU-Wahlplakat, das einen freundlich lächelnden Boris Rhein zeigt, den Ministerpräsidenten der schwarzgrünen Koalition. Er hat wie sein bayerischer Kollege Markus Söder (CSU) beste Chancen, die Geschicke des Landes auch die nächsten fünf Jahre aus der Staatskanzlei heraus zu bestimmen. In den Umfragen liegt er deutlich vor seinen Mitbewerbern, die ihre ursprünglichen Ambitionen auf das höchste Regierungsamt begraben mußten. Dabei war Rheins Vize, der Grüne Tarek Al-Wazir, noch im Februar als Kandidat für das höchste Staatsamt nominiert worden. Nach heutigem Stand könnte Rhein auch mit der SPD koalieren und seinen grünen Stellvertreter aufs Altenteil schicken.
So unrealistisch wie jetzt unmittelbar vor der Wahl an diesem Sonntag schien das Unternehmen gar nicht in dem Land des Joschka Fischer, des „Turnschuh-Ministers“, der 1985 als bundesweit erster grüner Ressortchef vereidigt worden war. Längst vergangene Zeiten. Wohl auch für die Linkspartei, die den erneuten Einzug in den Landtag, ihren letzten in einem westdeutschen Flächenland, verfehlen dürfte.
Den Einzug in Wiesbadens Staatskanzlei kann sich der grüne Realo Al-Wazir wohl abschminken. Zur Jahreswende gaben die Umfragen durchaus einen Wechsel her. Die CDU lag bei 27 Prozent, Grüne und SPD jeweils bei 22 Prozent. Inzwischen hat sich die Stimmung gedreht, wohl auch weil es an dem so gern zitierten Rückenwind aus Berlin fehlt.
Dort liegt die Ampel im Dauerstreit, ihr Ansehen hat mit etwa 38 Prozent einen bundesweiten Tiefpunkt erreicht. Darunter leiden neben den Grünen auch die hessischen Sozialdemokraten, denen wohl die Freude über ihre prominente Spitzenkandidatin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser, längst vergangen sein dürfte. Steigende Migrantenzahlen, Widersprüchliches zu Grenzkontrollen und zur Absetzung von Behördenchef Arne Schönbohm – die SPD-Frau kommt aus den Negativschlagzeilen nicht heraus. Jetzt mußte sie auch noch kleinlaut ein Wahlkampfvideo ihrer Landespartei zurückziehen, das den Konkurrenten in die Nähe der AfD rücken soll. „Wird sich Boris Rhein von Rechtsextremen Stimmen besorgen?“ wird provokant gefragt. Und so mancher Hesse wird sich an der „Rückfahrkarte“ stoßen, die Faeser sich ausbedungen hat. Klappt das Unternehmen Staatskanzlei in Wiesbaden nicht, bleibt sie Ministerin in Berlin.
Wirkt sich der Wahlsonntag auf die K-Frage der Union aus?
Mit derlei medialen Aufgeregtheiten hat Faesers bayerischer Spitzenkandidaten-Kollege Florian von Brunn nicht zu kämpfen. Die Demoskopen sehen die weißblaue SPD konstant im einstelligen Bereich. Dementsprechend groß ist die Frustration. Der Versuch, aus der Flugblatt-Affäre von Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger politisches Kapital zu schlagen, ist gescheitert. Im Gegenteil. Dessen Freie Wähler (FW) legten in den Umfragen auf bis zu 17 Prozent zu und machten ihren Koalitionspartner CSU nervös. Parteichef und Ministerpräsident Markus Söder wird intern an seinem Ergebnis von 2018 gemessen. 37,2 Prozent waren es damals, ein nach CSU-Maßstäben lausiges Abschneiden. Setzt sich der Abstieg der Dauer-Regierungspartei (seit 1957) fort, dürften Söder unangenehme Fragen gestellt werden. Denn der Franke pflegt einen ruppigen Umgang mit innerparteilichen Gegnern. Da könnten einige „Parteifreunde“ versucht sein, ihr Mütchen an ihm zu kühlen. Inhaltlich hat er seine Partei strikt auf die Fortsetzung der Koalition mit den FW eingeschworen. Die Grünen attackiert er ebenso wie die AfD, die SPD nimmt er kaum zur Kenntnis, nennt den Spitzenkandidaten „Florian von Dings“. Die Grünen liegen aktuell zwischen 15 und 16 Prozent – deutlich unter ihrem Rekordergebnis von 2018 (17,6 Prozent) – auf Augenhöhe mit der AfD. Und ein Ergebnis unter 37 Prozent dürfte Söders Chancen auf die Kanzlerkandidatur 2025 schmälern, mag er derzeit auch alle Ambitionen energisch bestreiten.
Die FDP spielt im Freistaat wie die SPD nur eine marginale Rolle. Seit langem dümpeln die Liberalen unter fünf Prozent, müssen mit ihrem Rauswurf aus dem Maximilianeum rechnen. Im Genscher-Haus feilt man bereits an einer Sprachregelung. Bayern sei „traditionell für die FDP ein schwieriges Pflaster“, ist dort zu hören. Vor fünf Jahren habe man es mit 5,1 Prozent nur knapp in den Landtag geschafft.
Im benachbarten Hessen dagegen muß die FDP liefern. Ein Scheitern an der Fünfprozenthürde wäre der Super-Gau für Parteichef Christian Lindner. Setzte sich dort die Niederlagenserie seit der Bundestagwahl 2021 fort, wird die Koalitionsfrage in Berlin kein Tabu mehr sein. Zumindest dürfte sich die Taktzahl der Koalitionsstreitereien weiter erhöhen, da liberale Profilierung angesagt ist. Die Stellung von Lindner wäre wohl nicht erschüttert; schon mangels personeller Alternativen. Da die Werte ein schwarz-gelbes Bündnis nicht hergeben, fehlt Hessens Liberalen eine realistische Machtoption. Dieses Schicksal teilen sie mit der AfD; allerdings aus unterschiedlichen Gründen. Zwar hätte ein schwarz-blaues Bündnis wohl die Mehrheit der Mandate, doch noch steht die „Brandmauer“ der CDU. Eine Ampel nach Berliner „Vorbild“ ist in Wiesbaden unwahrscheinlich, da CDU und AfD eine Verhinderungsmehrheit zugetraut wird.
So unterschiedlich die politischen Verhältnisse im Vorfeld des Urnengangs am Sonntag auch sein mögen: Ein Thema stellt in beiden Bundesländern alle anderen in den Schatten. Laut einer Umfrage der Meinungsforscher von Insa im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT sehen 49 Prozent der Bayern und 47 Prozent der Hessen das Migrationsproblem als das entscheidende für die Landtagswahl an. Gegenteiliger Meinung waren 41 der Bürger im Freistaat und 39 Prozent der Hessen. Bemerkenswert: Für Frauen spielt das Ganze eine noch größere Rolle als für Männer. 51 Prozent der Wählerinnen in Bayern und 50 Prozent derer in Hessen geben an, Migration sei für sie wahlentscheidend.