© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 41/23 / 06. Oktober 2023

Fritz, fromm, fröhlich, frei?
Union: Mit Äußerungen zu Asylanten erhitzt CDU-Chef Friedrich Merz die Gemüter / Eher Kalkül als Ausrutscher
Peter Möller

Die Kritik des politischen Gegners ließ nicht lange auf sich warten: Nach den Äußerungen des CDU-Parteichefs zur zahnärztlichen Versorgung von Asylbewerbern haben SPD, Grüne und die Linkspartei Friedrich Merz frontal angegriffen und eine Diskussion über das Ausmaß der Belastung Deutschlands durch die wachsende Zahl von Migranten ausgelöst. Merz hatte am Mittwoch vergangener Woche im Fernsehsender Welt im Zusammenhang mit der Migrationskrise gesagt: „Die werden doch wahnsinnig, die Leute, wenn die sehen, daß 300.000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen, und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.“

Die Bundesinnenministerin und hessische SPD-Spitzenkandidatin, Nancy Faeser, empörte sich daraufhin auf X: „Das ist erbärmlicher Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD.“ Die Migrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, warf Merz Falschbehauptungen und das Schüren von Ressentiments vor. Mit seinen Äußerungen werde „die Axt an den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ gelegt. Deutlich zurückhaltender äußerte sich Bundeskanzler Olaf Scholz: „Was Herr Merz vorgetragen hat, entspricht nicht der rechtlichen Lage in Deutschland. Ich finde, daß man besser auf seine Worte aufpassen sollte“, sagte er dem SWR. 

Grünen-Chefin Ricarda Lang warf Merz vor, er spiele „ganz bewußt Gruppen gegeneinander aus, verbreitet dabei Falschinformationen. So wird kein einziges Problem gelöst, aber Haß geschürt“, schrieb sie auf X. Das sei eines „Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig“. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) warf dem CDU-Chef wiederum vor, mit seinen Äußerungen das Geschäft der AfD zu betreiben: „Die AfD haut sich auf die Schenkel, fühlt sich bestätigt – und durch die Bestätigung ihrer Klischees sogar noch unterstützt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Diesen Debattenverlauf werden Friedrich Merz und sein Team vorausgesehen und beabsichtigt haben. Denn die Äußerung über die Versorgung von Asylbewerbern dürfte dem Politiker nicht einfach so „herausgerutscht“ sein. Vielmehr wird er es in der sich zuspitzenden Debatte über die Begrenzung der Migration darauf angelegt haben, einen deutlichen Akzent zu setzen – und das geht am besten, indem man lautstarken Widerspruch beim politischen Gegner provoziert.

Merz wird gewußt haben, daß seine Äußerungen zur Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern im Detail angreifbar sind, doch er mußte zum Mittel der Zuspitzung greifen, um die erwünschte mediale Aufmerksamkeit zu erzielen, ganz nach dem Motto: Wichtig ist, daß die Richtung stimmt. Denn sein Ziel war ganz offensichtlich, im Wahlkampfendspurt vor den Landtagswahlen in Hessen und Bayern das Profil der Union in der Asylpolitik zu schärfen, um von dem wachsenden Unmut der Bürger über die Einwanderungspolitik der Ampel zu profitieren und so – wenn möglich – der AfD Stimmen abzujagen.

Linker Flügel wirft Merz vor, die Partei zu spalten

Um so schmerzhafter ist das Störfeuer aus den eigenen Reihen gewesen, auch wenn es vorerst nur aus der zweiten Reihe kam. Am Wochenende forderte der Vize-Chef des traditionell linken CDU-Sozialflügels Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft (CDA), Christian Bäumler, Merz auf, seine Äußerungen zurückzunehmen oder auf die Kanzlerkandidatur zu verzichten. „Die Entgleisungen von Merz sind mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Viele CDU-Mitglieder schämen sich für ihren Parteivorsitzenden“, sagte Bäumler der Nachrichtenagentur dpa und warf seinem Parteichef vor, die CDU zu spalten. Es darf vermutet werden, daß diese harsche Kritik nicht ohne Ermunterung einflußreicher CDU-Politiker erfolgt ist, die Merz’ Ausflügen in den Populismus als Zumutung empfinden, aber mit Blick auf den Wahlkampf nicht direkt gegen den Parteichef schießen wollten.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Einlassungen des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst, dem wie Merz Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur zugeschrieben werden. Wüst verteidigte Merz zwar, doch gab er seinen Äußerungen einen Dreh, der den Eindruck vermittelte, Merz habe nicht dem wachsenden Unmut der Bürger eine Stimme geben wollen, sondern Verständnis für überlastete Flüchtlingshelfer geäußert. „Es gibt ja ganz viele Menschen, die sich gerade Sorgen machen um den Zusammenhalt der Gesellschaft“, sagte Wüst. „Alle, die sich um Flüchtlinge kümmern, sind gerade am Limit, ob es die Kommunen sind, ob es die Schulen sind, die Kitas, die Kindergärten.“ Auch die Flüchtlingshelfer klagten über die Situation. Er glaube, darauf habe „Friedrich Merz hinweisen“ wollen.