Die Zeiten, in denen das Internet für die Generation Ü60 absolutes „Neuland“ war, sind lange vorbei. Dennoch ist ein Großteil der Inhalte im Netz noch immer auf ein deutlich jüngeres Publikum zugeschnitten. Das dürfte auch daran liegen, daß zumindest ihre Ersteller eben doch noch eher aus der Altersgruppe der maximal Anfang 40jährigen kommen.
Aber was genau will die ältere Generation, wenn sie auf den großen Online-Plattformen und -Kommunikationsdiensten unterwegs ist? Ganz oben auf der Wunschliste – vor allem älterer Damen – stehen, so zeigen es Youtube-Statistiken, herzige Grußvideos. Wer das überraschend findet, der hat offensichtlich noch nie eine WhatsApp-Nachricht seiner weiblichen Vorfahren zu so wichtigen Anlässen wie einem „schönen Montag“, dem „Weltknuddeltag“ oder einem „sonnigen Wochenende“ bekommen. Denn die Mäuse, Blumensträuße und lachenden Himmelskörper, die einem aus diesen Grüßen entgegenblicken, kommen nicht von ungefähr. Sie entstehen in einer faszinierenden, vielen bislang völlig unbekannten Parallelwelt des digitalen Raums. Ihre unumstrittene Königin, zumindest bei denen, die sie kennen, ist Elli Schramm.
Die Jungen können von den Alten doch noch was lernen
Die Youtuberin, bei der die Netzgemeinde bis heute rätselt, wie echt die „Kunstfigur“ ist, produziert das, was böse junge Zungen gerne als „Boomer-Content“ oder „Cringe“ bezeichnen. Es sind Begriffe, mit denen die Jungen verdeutlichen wollen, wie sehr sie sich für den sprachlichen und visuellen Stil der Alten im Internet fremdschämen. Das, wofür die Jugend in diesem Fall gerne im Boden versinken mag, besteht im wesentlichen aus Fotografien, die angeblich aus Ellis Garten, Urlauben in „der Ferne“ oder Ausflügen in die Natur stammen sollen, aber auch ebenso gut aus irgendeiner Internet-Kartei für lizenzfreie Bilder kommen könnten.
Hier und da werden diese dann mit knuffigen Plüsch- oder Plastiktieren, „animierten“ Emojis oder sonstigen digitalen Zeichnungen aufgehübscht. Jetzt noch eine blinkende Leuchtschrift aus den Frühzeiten des Internets mit etwas Musik à la „Die Flippers“-Instrumentalalbum drüber und fertig ist das großmütterliche Grußvideo.
So peinlich die Jugend ihre „trashig“ funkelnden Clips auch finden mag, so erfolgreich ist die Youtube-Oma damit. Das übrigens gleich mit mehreren Kanälen. Auf „Ellis Glückskäfer“, „Ellis Sprüchewelt“ und natürlich ihrem Hauptkanal „Elli Schramm“ generiert die Grande Dame der digitalen Kitschigkeit mit Video-Titeln wie „Einmal Drücken aus der Ferne“ oder „Mein Glücksbringer im Garten möchte dir was sagen“ Hunderttausende Abonnenten und Aufrufe. Sogar ihr Hund, „Nelly die Fellnase“, hat einen eigenen Youtube-Kanal mit aktuell 41.700 Abonnenten. Zu Feiertagszeiten gehen Ellis Zuschauerzahlen auch schon mal in den Zwei- bis Drei-Millionen-Bereich. Zudem hat sie inzwischen etliche weitere Grußvideo-Kanäle erkennbar inspiriert – „die Jungen“ können doch noch was von „den Alten“ lernen.
Bei den Grußvideo-Freunden handelt es sich um die „netteste Community der Welt“. So beschreibt es zumindest der Youtuber RobBubble (selbst 302.000 Abonnenten), der sich intensiv mit dem Internetphänomen auseinandergesetzt hat. Der junge Satiriker verweist dabei mit einigem durchaus erst gemeintem Respekt auf die durch und durch netten Kommentare, die die „professionelle WhatsApp-Statusgestalterin“ unter ihren Videos erhält.
Das ist in der Tat bemerkenswert, weil es in den Kommentaren bei Youtube & Co. sonst gerne eher rauh bis menschlich absolut unterirdisch zugeht. Nicht so bei „Elli Schramm“, die mit ihren Werken eine Altersklasse von Menschen anspricht, in der man Anstand und gutes Benehmen eben noch gelernt hat – oder dessen Gute-Laune-Content auf junge arrogante Hater beschwichtigend und versöhnend wirkt.
Statt Beleidigungen und herablassendem Besserwissertum gibt es in der Grußvideo-Gemeinschaft nur nette Worte und sehr, sehr viele positive Emojis. Zumindest, was den Umgang untereinander angeht, kann sich die junge von der alten Generation im Internet also durchaus noch einiges abschneiden.