© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten
Alexander von Bismarcks „Anthologie der Verständigung“ warnt davor, deutsch-russische Verbindungen anläßlich des Ukraine-Kriegs zu kappen
Werner Olles

Begegnungen zwischen Russen und Deutschen“ sind seit dem Beginn des „Ukraine-Rußland-Konflikts“, der sich immer mehr zum Krieg zwischen dem „kollektiven Westen“ und der Russischen Föderation entwickelt, deutlicher schwieriger geworden, da Deutschland sich mit der Lieferung schwerer Waffen, der Ausbildung ukrainischer Militärs, wirtschaftlicher Sanktionen und diversen diplomatischen Auftritten endgültig als Kriegspartei entlarvt hat. Alexander von Bismarck, Herausgeber der vorliegenden gleichnamigen „Anthologie der Verständigung“, betont daher in seiner Einleitung auch die lange und wechselvolle Geschichte der über Jahrhunderte gewachsenen Kulturen und Zivilisationen unserer beiden Länder. Dabei spart er auch die blutigen und leidvollen militärischen Konflikte der Vergangenheit nicht aus. Doch bestärken sie nach seiner Auffassung gerade den Wunsch und das Bestreben nach einem beständigen Frieden und nach einer Freundschaft zwischen den Völkern. 

Persönliche Kontakte im kulturellen und sportlichen Bereich, Städtepartnerschaften und der Jugendaustausch festigten über Jahrzehnte freundschaftliche Bande. Von Bismarck plädiert entschieden dafür, gerade jetzt die aufkommende Fremdheit und das Trennende zu überwinden, dafür die zahlreichen Gemeinsamkeiten zu erkennen und Freundschaften weiter zu entwickeln und zu pflegen, die in Jahrzehnten nach dem für beide Nationen schicksalhaften Zweiten Weltkrieg mühsam aufgebaut wurden. Dies sei jedoch nur möglich durch Toleranz und Respekt auf Augenhöhe und die echte Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen für eine völkerverbindende Gemeinschaft. Als die Bundesregierung den „Petersberger Dialog“ im September 2022 abschaffte, rief der Herausgeber spontan den „Bismarck-Dialog“ ins Leben, um die bis dahin fruchtbaren Beziehungen der letzten dreißig Jahre aufrechtzuerhalten. Besonders in schwierigen Konfliktsituationen hält er es für wichtig, miteinander zu reden statt übereinander, und ein klares Zeichen zu setzen inmitten neu entflammter Ausgrenzung und Kontaktscheu.

Deutschland sollte für Europa eine Brückenfunktion einnehmen

Die literarische Anthologie versammelt 37 Autoren mit Erzählungen, Kurzgeschichten, kleinen Essays und einer Bildgeschichte. Die Liste der Beiträger umfaßt dabei so bekannte Namen wie Uwe Steimle, Michael Klonovsky, den Verleger Uwe Lammla, Rainer Hackel, Helmut Roewer, Norbert Zankl, Tanja Krienen, Rolf Schilling, Uwe Nolte, Sebastian Hennig, Marc Zoellner und Adorján Kovács, um nur einige zu nennen. So besteht der Philosoph Alexander Ulfig darauf, daß Rußland zu Europa gehört, und die kulturelle Einheit, die zwischen Rußland und dem Westen besteht, nicht durch eine politische erweitert wurde, wobei Deutschland auch wegen der europäischen Geschichte eine Brückenfunktion hätte einnehmen können.

Einprägsam ist die Kurzgeschichte „Mascha“ von Uwe Steimle. Mascha, eine Do Khyi-Hündin, die am Rande von Dresden regelmäßig Gassi gehen muß, trifft hier jedoch nur auf Wege, Ecken, umzäunte Vorgärten und frische Wiesen vor neuen Häusern. Eine solche hat es ihr angetan, doch eine kittelbeschürzte Frau mit russischem Akzent ist nicht begeistert, daß ihr Rasen mit wichtigen Spurenelementen gedüngt wird. Der folgende deutsch-russische Dialog ist erst beendet, als Steimle mit den Worten „Komm Mascha, wir gehen“ zum Rückzug bläst. Doch beim Aussprechen des „weich und warm klingenden Namens Mascha“ entkrampft sich das Gesicht der resoluten Russin, und als er sich als „Putin-Versteher“ zu erkennen gibt, und seine Töchter Katja und Nina erwähnt, ist das Eis endgültig gebrochen.

Alexander von Bismarck (Hrsg.): Begegnungen zwischen Russen und Deutschen. Eine Antho­logie der Verständigung. Arnshaugk Verlag, Neustadt an der Orla 2023, gebunden, 159 Seiten, 18 ­Euro