Das Konzept der Universitäten der Bundeswehr geht auf Helmut Schmidt zurück, der als Verteidigungsminister 1970 eine „Kommission zur Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr“ ins Leben rief. Sein Hauptmotiv war, „daß auf keinen Fall in der Zukunft die Allgemeinbildung der Berufsoffizere hinter der Allgemeinbildung von Hauptschullehrern zurückstehen sollte“. Innerhalb von nur drei Jahren gelang es, nicht nur die Konzeption und die Lehrpläne auf-zustellen, sondern auch sämtliche Genehmigungen, die Räumlichkeiten und das Personal zu beschaf-fen, so daß der Studienbetrieb an den Standorten München und Hamburg zum 1. Oktober 1973 auf-genommen werden konnte. Das Promotions- und Habilitationsrecht erhielt die Hamburger Bundes-wehr-Universität 1978, so daß die Gleichwertigkeit mit den Landesuniversitäten vollzogen wurde. Das Streben der Universität nach „Normalität“ und Eigenständigkeit bei gleichzeitiger Nähe zur Bundeswehr spiegelt sich auch in der Genese der Namensgebung wider: Hochschule der Bundeswehr (1973); Universität der Bundeswehr (1985); Helmut-Schmidt-Universität (HSU)/Universität der Bundeswehr Hamburg (2003).
Als Bedarfsuniversität bildet sie vorrangig angehende Offiziere aus, die sich derzeit für 13 Jahre als Zeitsoldat verpflichten. Das Bemühen um eine zivile Komponente zeigen einige Wirtschaftsstipendiaten, das Bauingenieurwesen oder zwei rechtswissenschaftliche Studiengänge für die Bundesverwaltung. Neben der Allgemeinbildung, die seit Gründung das „Studium Generale“ mit interdisziplinären Studienanteilen (ISA) gewährleistet, soll das wissenschaftliche Fachstudium zum einen die spätere Verwendung in der Truppe vorbereiten, zum anderen den Übergang in das zivile Berufsleben nach der Dienstzeit erleichtern. Die Laufbahn setzt die allgemeine Hochschulzugangsberechtigung und ein erfolgreiches dreitägiges Auswahlverfahren am Assessmentcenter für Führungskräfte der Bundeswehr in Köln voraus. Je nach Truppengattung ist eine 15monatige militärische Ausbildung die Regel, bevor es an die Universität geht.
An der im Osten Hamburgs gelegenen Universität sind 2.291 Studenten, darunter 45 ausländische, an den vier Fakultäten in insgesamt 38 Studiengängen eingeschrieben. Der Frauenanteil beträgt im Schnitt 21,4 Prozent. Der Lehrkörper umfaßt 115 Professoren und 536 wissenschaftliche Mitarbei-ter. Die Bachelor- (BA) und Masterstudiengänge (MA) sind aufeinander aufbauend (konsekutiv). Die Ausnahme bilden fünf Weiterbildungsstudiengänge mit MA-Abschluß. Als technische Studiengänge können Elektro- und Informationstechnik, Maschinenbau oder Bauingenieurwesen gewählt werden; in den Geistes- und Sozialwissenschaften Pädagogik, Geschichtswissenschaft, Psychologie; in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Betriebs-/Volkswirtschaftslehre, Politikwissenschaft. Es herrscht Trimesterbetrieb, das heißt vom 1. Oktober bis 30. Juni finden Lehrveranstaltungen statt. Die drei Sommermonate der vorlesungsfreien Zeit sind für Urlaub, Abschlußarbeiten, Praktika oder Klausurvorbereitung vorgesehen. Die Regelstudiendauer bis zum Master-Abschluß beträgt vier Jahre, davon sieben Trimester bis zum Bachelor und fünf bis zum Master. Neben den ISA-Anteilen, die den Fachstudiengang um allgemeine berufsfeld-orientierende Fertigkeiten sowie fach- und methodenübergreifende Kompetenzen ergänzen, ist eine qualifizierte Fremdsprachenausbildung mit SLP-Zertifikat für die Studierenden obligatorisch.
Die Studienbedingungen sind als hervorragend zu bezeichnen – dessen sich mancher Student nicht immer bewußt ist, besonders sofern er die Zustände an einer deutschen Landesuniversität nicht kennt. Hierzu zählen eine Besoldung gemäß Dienstgrad „Fähnrich“ zu Beginn und „Leutnant“ nach Ab-schluß des BA, die den Unterhalt sichert und die Konzentration auf das Studium ermöglicht. Einer Campus-Universität entsprechend wohnt ein Großteil vor Ort in Wohnebenen, die nach Studienrichtung organisiert sind. Dies begünstigt nicht nur Arbeitsgruppen, sondert fördert auch den kameradschaftlichen Freizeitkontakt.
Die Begriffe Kamerad und Kommilitone verschmelzen
Gemäß dem Kleingruppenkonzept werden Lehrveranstaltungen teils mehrzügig angeboten, so daß in Vorlesungen 15 bis 50, selten über hundert Teilnehmer, und in Seminaren meist fünf bis 15 Studenten eingeschrieben sind. Die Universitätsbibliothek ist im zentralen Hörsaalgebäude außerordentlich gut ausgestattet. Auch durch das günstige Verhältnis von Lehrenden zu Studierenden ist die Studienerfolgsquote mit 70 Prozent im Bachelor und 91 Prozent im Master relativ hoch.
Dennoch führen offensichtliche und langjährige Mängel in der fachbezogenen Zuordnung der Bewerber auf die Studiengänge durch das Auswahlverfahren in Köln ab und an zu Demotivation bis hin zum Scheitern im Studium gerade im BA. Zudem scheint die Bewerberlage aufgrund der internationalen Konflikte erheblich schlechter geworden zu sein, so daß die Bedarfe mitunter nicht optimal gedeckt werden können. Hinzu kommt eine teils geringe intrinsische Studienmotivation, da ein nicht unerheblicher Teil der Studenten zwar zur Bundeswehr möchte, nicht jedoch die Hürden eines Studiums auf sich nehmen will.
Nicht unerwähnt bleiben sollte auch die häufiger gehörte Kritik, daß die Absolventen in ihrer etwa achtjährigen Restdienstzeit nicht regelmäßig in Verwendungen eingesetzt werden, die ihrer fachlichen Qualifikation nahekommen. Dies führt nicht nur zu leistungshemmenden Enttäuschungen, sondern könnte aus Sicht der Bundeswehr eine Verschwendung von Ressourcen darstellen.
Neben der Lehre wird bei einem Jahresetat von 134,4 Millionen Euro plus 15,9 Millionen Euro (2022) eingeworbener Drittmittel ausgezeichnete Forschung betrieben. So ist die HSU an zwei von vier Hamburger Exzellenzclustern beteiligt. Enge Kontakte zur Landesuniversität, dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) sowie zur Industrie (Airbus, Jungheinrich) bilden ein produktives Wissenschaftsnetz. Im Aufbau befindet sich das „Zentrum für Digitalisierungs- und Technologieforschung der Bundeswehr“, für das erhebliche Mittel bereitgestellt werden.
Ein permanentes Spannungsfeld bilden der Offizier einerseits und die zivile Ausrichtung des Studiums andererseits. „Militärische Ausbildung und Studium gehören zusammen,“ so die Bildungskommission im Ministerium Helmut Schmidts im Gutachten 1971. Doch Befehl und militärische Ausführung wie auch Freiheit und Eigenverantwortung im Studium müssen von den Studierenden in Einklang gebracht werden. Das erfordert erhebliche Bewußtseinsarbeit. Die Begriffe Kamerad und Kommilitone (commilitio – Waffenbruder) verschmelzen, ohne daß der Unterschied aufgehoben wäre: Zivilkleidung in den Veranstaltungen, Dienstuniform zur Allgemeinen Militärischen Ausbildung (jeden Donnerstag); Lehrkörper/Studiendekan und militärischer Dienstvorgesetzter im Studierendenbereich; der Studienabschluß als Auftrag.
Der Präsident der Universität ist zugleich Kasernenkommandant. Als ehemalige Artilleriekaserne im Zweiten Weltkrieg hat das Ministerium die Liegenschaft aktuell als militärischen Sicherheitsbereich angeordnet – mit Konsequenzen für den öffentlichen Zugang (beispielsweise die Bibliothek oder wissenschaftliche Konferenzen). Die Dualität spiegelt sich auch in der Vernetzung mit der Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) in Hamburg-Blankenese wider, so in der Kooperation des „German Institute for Defence and Strategic Studies“ als Denkfabrik für die Zukunft der Bundeswehr – Grundlagenforschung an der Helmut-Schmidt-Universität und Bearbeitung von militärfachlichen Fragestellungen an der FüAkBw. Die Wechselseitigkeit der HSU zeigt nicht zuletzt die Unterstellung seitens Hamburgs Wissenschaftsbehörde einerseits und die Finanzierung und Dienstaufsicht durch das Bundesministerium für Verteidigung andererseits. Es bleibt eine permanente Herausforderung, die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre zu bewahren.
Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt seit 30 Jahren an der Helmut-Schmidt-Universität und ist langjähriger Studiendekan im Studiengang Volkswirtschaftslehre