© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

Drogenzombies im Dreck
„Shitholes“ überall: Social-Media-Profile dokumentieren die zunehmende Verwahrlosung westlicher Metropolen
Gil Barkei

Straßenaufnahmen aus US-Problemvierteln in Los Angeles, San Francisco, Detroit und Chicago sind mittlerweile eine eigene Nische auf Youtube. Kanäle wie „CharlieBo313“ haben Hunderttausende Abonnenten, unter ihnen Elendsvoyeure und Kritiker des globalen Kapitalismus. Besonders Clips aus Philadelphia – speziell Szenen rund um die Kensington Avenue – rufen ungläubiges Kopfschütteln hervor: Drogenmoloch, vegetierende Zombiegestalten und Kriminalität am hellichten Tag, die Polizei oft tatenlos direkt daneben. Einige Videos, beispielsweise vom Kanal „kimgary“ haben mehrere Millionen Aufrufe.

„Herzzerreißend“, „Traurig“, schreiben einige Nutzer. Andere lassen ihrer Wut auf die Vereinigten Staaten und „das System“ freien Lauf. Spott und Verachtung mischen sich mit geopolitischer Kritik. Einige Südamerikaner schreiben zynisch, schlimmer sei es bei ihnen auch nicht. Und russische Zuschauer betonen gerade in jüngster Zeit häufig sarkastisch, dann doch froh zu sein, am anderen Ende des Planeten zu leben. 

Die Szenen werfen ein Schlaglicht auf Europa und Gegenden in Berlin, Frankfurt am Main oder Duisburg. Die „Stimme der Straße“ aus der Mainmetropole möchte Drogenabhängige und Obdachlose selbst auf Augenhöhe zu Wort kommen lassen und so „echte Menschen, echte Tränen, echte Geschichten“ bieten. Auch die JF war mit ihrer Dokumentation „Inside Frankfurt Bahnhofsviertel“ vor Ort. 

Längst hat sich auch in Deutschland eine kleine Szene gebildet, die den täglichen Wahnsinn im „besten Deutschland aller Zeiten“ zwischen Lachen und Weinen dokumentieren. Youtuber wie Max Cameo sind mit Hood-Folgen aus Großstädten bekannt geworden – und bei Episoden wie vom Kölnberg verschlägt es einem die Sprache. Bei Instagram zeigt der Account „030 News“ schockierende bis humorvolle Videos von der Spree, und das Profil „Berlin Shithole City“ sammelt skurrile wie abstoßende „Impressionen aus dem Hauptstadtslum“. Abgebrannte Autos, Psychos im öffentlichen Nahverkehr, überforderte Behörden, vermüllte Grünanlagen, abbruchreife Bauten, Dreck und nochmals Dreck – und das alles von der Politik eher gefördert als bekämpft.

Aus der französischen Hauptstadt existieren ähnliche Aufnahmen, unter anderem vom Areal um die Metro-Station Stalingrad; von den Vorstädten ganz zu schweigen. Romantisierte Erwartung trifft auf brutale Realität. Reichtum, Schönheit, Sicherheit und Ordnung? Von wegen! Herzlich willkommen in Paris, London, Brüssel und Berlin, wo Gewalt, Multikulti, Dysfunktionalität und Chaos den öffentlichen Raum bestimmen.