Lange interessierte das Schicksal Tausender Kleinanleger, deren Ersparnisse in russischen Aktien durch Sanktionen blockiert waren, die deutsche Politik nicht. Doch nun kommt erste Bewegung in die Starre: Die Bundesbank erlaubte bis zum 25. September den Betroffenen, eine Sondergenehmigung zu beantragen, um Hinterlegungsscheine russischer Aktien in die zugrundeliegenden Aktien umzutauschen (JF 21/22). In nur drei Monaten will die Bundesbank auf Anträge reagieren – ein Rekordtempo für deutsche Behörden.
Noch ist nicht klar, ob die Genehmigung überhaupt etwas bringt, denn die Kette der Zwischenstationen zwischen Anleger und Aktie ist lang. Das diente ursprünglich dem Anlegerschutz, als nur finanzkräftige Treuhänder sicherstellen konnten, daß nicht die Mafia die Depots leerte. Jetzt unterliegt aber jede Station anderen Sanktionen, was zu einem Wirrwarr geführt hat. Makler und Depotbank mögen deutschem Recht unterliegen, doch die Verwahrgesellschaft Clearstream sitzt in Luxemburg, Treuhänder unterliegen US- oder britischem Recht, die eigentlichen Aktien liegen bei sanktionierten Lagerstellen und Banken in Rußland. Nur in Ausnahmefällen dürfte eine Bundesbankgenehmigung diesen Sanktionsknoten auflösen. Bei Gazprom beispielsweise hat der Treuhänder der Hinterlegungsscheine, BNY Mellon, mitgeteilt, angesichts des Wirrwarrs vorläufig keine Umtäusche vorzunehmen. Es könnte auch daran liegen, daß die Bank ihre Rolle als Treuhänder niedergelegt hat, vermutlich auch, weil sie wegen der Sanktionen keine Gebühren mehr gezahlt bekommt. Für die ausstehenden Dividenden hingegen kann die Genehmigung helfen, sofern man die Aktien schon erfolgreich umwandeln konnte. Damit darf man offenbar bei der Gesellschaft die nachträgliche Auszahlung der Dividende auf sein gesperrtes russisches S-Konto beantragen.
Doch Vorsicht ist angesagt: Behält eine russische Stelle Gebühren ein, die auf der Sanktionsliste steht, kann der arglose Kleinanleger als Sanktionsbrecher mit der Staatsanwaltschaft Bekanntschaft machen. Außerdem dürfen die Barbestände der S-Konten nach russischem Recht nur in Staatsanleihen investiert werden, was Deutschen aber der EU-Sanktionen wegen untersagt ist. Die Pattsituation wäre vermeidbar gewesen, denn ursprünglich fiel der Handel mit bestehenden russischen Aktien gar nicht unter die Sanktionen. Nur Neuemissionen sollten verboten werden – schließlich spielt es für Rußlands Wirtschaftskraft keine Rolle, ob vor langer Zeit emittierte Papiere den Besitzer im Westen wechseln. Doch übereifrige Börsen beendeten die Notierung der Papiere. Wegen des Rauswurfs Rußlands aus dem Zahlungsverkehrssystem Swift und weiteren Finanzsanktionen behielten russische Firmen Dividendenzahlungen ein. So erlitten Kleinanleger Kollateralschäden durch undurchdachte Sanktionen. Aufgrund der russischen Gegenmaßnahmen droht ihnen sogar Enteignung (JF 6/23).
Aber hätten sich Anleger nicht schon nach den ersten Sanktionen 2014 aus russischen Aktien zurückziehen müssen? Nach dieser Logik müßte man heute chinesische Aktien abstoßen: Mehrere halbstaatliche börsennotierte Firmen wie der Pekinger Ölkonzern CNOOCstehen unter US-Sanktionen, der Shanghaier Börsenindex CES120 ist US-Anlegern komplett verboten. Es ist ein Fortschritt, daß Nebenwirkungen der Sanktionen endlich Gehör gefunden haben. Eine echte Lösung des Problems liegt aber noch in weiter Ferne.