© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

Lieber Korruption und Autokratie als Chaos
Parlamentswahl in der Slowakei: Nach der Selbstzerfleischung der Mitte-Rechts-Regierung hoffen die Linksnationalisten auf ein Comeback
Paul Leonhard

Im slowakischen Wahlkampf wird mit harten Bandagen gekämpft. Präsidentin Zuzana Čaputová hat Ex-Premier Robert Fico wegen „grober Lügen und erfundener Anschuldigungen“, die er über sie verbreite, angeklagt. Bilder von Ex-Premier Igor Matovič, der sich mit Ex-Innenminister Robert Kaliňák um ein Megafon prügelt und dabei „Kaliňák Mafiosi“ ruft, während der Verunglimpfte den politischen Konkurrenten mit wutverzerrtem Gesicht schubst und schlägt, erschütterten die Nation kaum noch. Ohnehin geht eine von Populismus und Chaos gekennzeichnete Legislatur zu Ende.

Nach drei Jahren Erfahrungen mit politischen Quereinsteigern sehnt sich offenbar eine Mehrheit der Slowaken nach Stabilität. Aktuell sieht alles nach einem politischen Comeback von Fico und seiner linksnationalistischen Smer-SD aus. Fico hatte 2018 nach der Ermordung des Investigativjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten das Amt als Premierminister 2018 an seinen Parteifreund Petr 

Pellegrini abgegeben. Bei der folgenden Nationalratswahl 2020 verlor Smer zehn Prozent der Stimmen und kam mit 18,3 Prozent nur auf Platz zwei, das Bündnis PS-Spolu scheiterte gar mit 6,96 Prozent an der Sieben-Prozent-Hürde. 

Sieger war die OL’aNO (Gewöhnliche Menschen), die zusammen mit drei weiteren Parteien (SaS, Za l’udi und Sme rodina) eine Mitte-Rechts-Koalition bildete, die mit ihrer Drei-Fünftel-Mehrheit sogar Verfassungsänderungen hätte durchsetzen können. Allerdings erwies sich die Koalition durch interne Streitigkeiten sowie den Ausbruch der Pandemie und später durch die mit dem Rußland-Ukraine-Krieg verbundene Migrations-, Inflations- und Energiekrise als instabil. Nach einem Mißtrauensvotum und dem Ausscheiden von Koalitionspartnern gab Regierungschef Matovič schließlich auf, Präsidentin Čaputová setzte im Juni eine Expertenregierung ein und ordnete für den 30. September vorgezogene Neuwahlen an.

Aktuellen Umfragen zufolge würden die Regierungsparteien lediglich 22,7 Prozent der Stimmen erhalten. Im Aufwärtstrend liegen dagegen die Sozialdemokraten. Ein Sieg seiner Partei werde das Land von der „euro-amerikanischen Okkupation“ und dem „Faschismus in Regenbogenfarben“ befreien, rief Ľuboš Blaha, Vizechef der Smer-SD, den jubelnden Massen zu. Krieg und Faschismus seien immer aus dem Westen gekommen, Freiheit und Frieden immer aus dem Osten. Gemessen an der rechtsextremen Partei „Unsere Slowakei“, die aktuell 14 der 150 Mandate im Parlament innehat und mit antisemitischen Parolen hetzt, und der noch radikaleren „Republik“ sind das harmlose Äußerungen.

Angesichts des Versagens der Regierungsparteien ist für 20 Prozent der wahlberechtigten Slowaken Fico der Mann der Stunde – stark und autokratisch. Auf Platz zwei liegt die als liberal-progressiv geltende Partei „Progressive Slowakei“ mit rund 16 Prozent. Auf Platz drei käme danach mit elf Prozent die HLAS – Sozialdemokratie (HLAS-SD), eine Abspaltung der SMER-SD. Dicht dahinter liegt mit knapp acht Prozent die rechtsradikale Partei „Republik“. Sowohl die „Republik“ als auch die Sozialdemokraten vertreten eine prorussische Haltung, ein Bündnis wäre denkbar.

Wird die Smer-SSD stärkste Partei, könnte sie versuchen, mit der HLAS-SD eine Koalition zu bilden und eventuell die „Republik“ dazu zu holen: Durch die Bildung einer Koalition gemeinsam mit der Slowakischen Nationalpartei (SNS) könnte eine absolute Mehrheit im Parlament erreicht werden, analysiert Daniel Martínek, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, die möglichen Wahlszenarien auf dem Portal „Eastblog“. Damit könne es nach dreijähriger Pause „zum Wiederaufleben einer mafiösen Kultur kommen“ und die Slowakei „dem ideologischen Weg der ungarischen Fidesz- oder der polnischen PiS-Partei folgen“.

Gewinne seine Partei am 30. September, werde er als erstes ein „zweiwöchiges Moratorium für jegliche Medieninformation“ verkünden, so Fico, um den Parteien Zeit zu geben, Regierungskoalitionen auszuhandeln. Ein Sieg von Fico würde wohl das Ende der slowakischen Unterstützung für die Ukraine bedeuten, denn eine Mehrheit der Slowaken ist gegen die EU-Sanktionen und für die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen zu Rußand.