© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

„Es herrscht blanke Panik“
Immobilienkrise: Wohnraum, Baustoffe, Bauland und Kredite werden immer teurer. Der Markt bricht zusammen
Martina Meckelein

Eine beispiellose Krise in der Bauwirtschaft bedroht uns. Ideologisch getriebene Gesetzesvorlagen, steigende Zinsen und steigende Rohstoffpreise lassen die Zahl der Bauanträge einbrechen. Mehr noch: Hauseigentümern droht der Verlust der eigenen Immobilie, weil sie Energievorgaben nicht mehr finanzieren können. Es fehlen Hunderttausende Wohnungen. Die Mieten steigen. Millionen Migranten sollen untergebracht werden, ein Ende ist nicht abzusehen. Stehen wir vor dem wirtschaftlichen Kollaps?

„Nach Expertenschätzung müßten jährlich mindestens 350.000 neue Wohnungen in Deutschland gebaut werden, um den Bedarf zu decken“, sagte Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, im Juni. „Von dieser und auch der politischen Zielmarke, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr neu zu errichten, sind wir aktuell weit entfernt.“ Das Statistische Bundesamt meldete im Mai 2023, daß vergangenes Jahr nur 295.300 neue Wohnungen fertiggestellt worden seien. Schlimmer noch: Im ersten Halbjahr 2023 waren nur 135.200 neue Wohnungen genehmigt worden. „Das sind 27,2 Prozent oder 50.600 Baugenehmigungen weniger als im 1. Halbjahr 2022“, so die Statistiker. „Im Juni 2023 sank die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen gegenüber dem Vorjahresmonat um 28,5 Prozent.“ Neben diesen machen den Experten noch ganz andere Zahlen Sorgen. Denn die sind ein Indikator dafür, daß sich der Wohnungsbau in einer immer schneller windenden Abwärtsspirale befindet.

Insgesamt haben wir in Deutschland einen Bauüberhang. Damit sind genehmigte, aber noch nicht umgesetzte Bauvorhaben gemeint, von 884.800 noch nicht fertiggestellten Wohnungen, macht ein Plus von 38.400 gegenüber 2021, so das Bundesamt, „davon befanden sich bereits 462.900 Wohnungen im Bau (davon 240.100 „unter Dach“ beziehungsweise im Rohbau fertiggestellt).“ Dieser Bauüberhang steigt seit 2008 stetig an, die Kurve verflacht ein wenig im Jahr 2022. Das liegt allerdings unter anderem an der steigenden Zahl der erloschenen Baugenehmigungen, bei denen die Gültigkeitsdauer abgelaufen ist. Im Jahr 2022 hatten sie mit 22.800 den höchsten Stand seit 2006 erreicht.

70jährige sollen plötzlich nochmal 50.000 Euro stemmen

Dieser Bauüberhang muß genauer beleuchtet werden. Denn die Frage stellt sich: Warum wurden die Baugenehmigungen noch nicht umgesetzt? Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen sind das die gestiegenen Material- und Handwerkerkosten. Zum anderen die steigenden Zinsen, und die treffen beide, den Projektentwickler und den Interessenten. Der Bauträger finanziert seine Projekte über Kredite. Die Kosten dafür steigen rasant. Dadurch verteuern sich die Projekte. Die geplanten Wohnungen können nur noch zu für die Interessenten überteuerten Preisen gebaut und angeboten werden. Denn auch der Käufer muß den Kredit finanzieren. Beide, sowohl Bauträger als auch Käufer, können sich die Zinsen nicht mehr leisten. Das Bauprojekt wird also schlicht nicht realisiert oder mit starker Verzögerung. Laut Statista „hat sich im Wohnungsbau die durchschnittliche Abwicklungsdauer, also die Zeit von der Genehmigungserteilung bis zur Fertigstellung, seit der Störung globaler Lieferketten durch Ausbruch der Corona-Pandemie um etwa zwei Monate verlängert (von 20 Monaten im Jahr 2020 auf 22 Monate im Jahr 2022).“

Böse Zungen könnten argumentieren: Dies sei eine Marktbereinigung: Nur noch die können sich eine Immobilie leisten, die das Geld dafür haben. Zinsen waren früher schon höher. Allerdings waren auch die Immobilienpreise nicht so hoch wie 2022. Seit vergangenem Jahr geben sie im Bereich der Bestandsimmobilien nach. Früher konnten Menschen problemlos mit einem Gehalt ein Haus abzahlen und eine Familie ernähren. Dafür hatten die Kredite so lange Laufzeiten, daß das Haus mit Renteneintritt bezahlt war. Man mußte als Rentner keine Miete zahlen, lebte in seinen eigenen vier Wänden, psychologisch ein großer Mehrwert, und das Eigentum kann vererbt werden.

„Es herrscht die blanke Panik“, sagt Silke Schröder gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. Sie gründete 2011 ihr Immobilienunternehmen Primobilia in Berlin: „Das Segment der 60- oder 70jährigen hat sich zum Beispiel die Häuser als Altersvorsorge gekauft. Die haben Jahrzehnte gespart. Wie sollen diese Menschen jetzt die von der Regierung verlangten energetischen Sanierungen stemmen? Das ist für sie finanziell nicht darstellbar.“ Schröder ärgert sich hörbar über diese politischen Vorgaben. „Diese Leute haben Angst. Die Hälfte unserer Rentner hat 1.500 Euro im Monat. Alle Preise steigen an, die für Lebensmittel, die für medizinische Versorgung. Und jetzt sollen diese Menschen, die hofften, in ihrem Haus bleiben zu können, sich dort pflegen lassen zu können, mal einfach 50.000 Euro für eine energetische Sanierung zahlen. Natürlich haben die das Gefühl, daß das einer Enteignung gleichkommt.“ In einer völlig anderen Situation seien junge Familien, die sich noch vor ein paar Jahren ihr Häuschen mit einem Zinssatz von zwei Prozent finanzierten. In den vergangenen zehn Jahren finanzierten Banken den Kauf einer Immobilie bis zu 100 Prozent. Heutzutage verlangen sie, daß der Käufer mindestens die Nebenkosten durch Eigenkapital finanziert, also rund 20 Prozent des Kaufpreises. „Wenn jetzt die Anschlußfinanzierung ansteht, haben sie nicht 1.000, sondern 2.000 Euro zu zahlen“, sagt Schröder. „Bei Finanzierungen, die eh scharf auf Kante genäht sind – und das sind viele –, wird das problematisch.“

Doch nicht nur die Eigenheimbesitzer stöhnen. Nahezu alle Baumaterialien sind 2022 noch einmal deutlich teurer als im Vorjahr, meldete im Februar destatis. Und schon 2021 hatte es bereits hohe Preissteigerungen gegeben. „Preistreibend auf den Baustellen wirkten sich vor allem die gestiegenen Energiepreise aus“, heißt es weiter. „So verteuerten sich besonders Baustoffe wie Stahl, Stahlerzeugnisse oder Glas, die energieintensiv hergestellt werden.“ Verschiedene Stahlarten waren 2022 um 40 Prozent teurer. Stahl ist deshalb so wichtig, weil er oft in Verbindung mit Beton unter anderem im Rohbau zur Verstärkung von Bodenplatten, Decken oder Wänden eingesetzt wird. Spitzenreiter im Preisanstieg ist Flachglas, das im Fensterbau einsetzt wird. Es „verteuerte sich 2022 um 49,3 Prozent im Vergleich zum Jahresdurchschnitt 2021“, so destatis.

Das Ifo-Institut München meldet aktuell: „Im August berichteten 20,7 Prozent der Firmen von abgesagten Projekten, nach 18,9 Prozent im Vormonat“. Die Zahlen gehen aus den Umfragen des Instituts hervor. „Die Stornierungen im Wohnungsbau türmen sich zu einem neuen Höchststand auf“, sagt Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen. „Seit Beginn der Erhebung 1991 haben wir noch nichts Vergleichbares beobachtet. Die Verunsicherung im Markt ist riesig“. Diese Entwicklung schlägt sich natürlich auch auf die wirtschaftliche Lage der Baufirmen nieder. Beklagten im Juli 40,3 Prozent der befragten Unternehmen einen Auftragsmangel, waren es im August schon 44,2 Prozent. Im Juli des Vorjahres waren es noch 13,8 Prozent. „Einigen Betrieben steht das Wasser bereits bis zum Hals“, so Wohlrabe. „Aktuell melden 11,9 Prozent der Unternehmen im Wohnungsbau Finanzierungsschwierigkeiten. Das ist der höchste Wert seit über 30 Jahren.“

Auch der Deutsche Mieterbund schlägt Alarm. Er rechnet damit, daß die Mieten stärker steigen als die Löhne. „Alles, was legal ist, wird an Mietsteigerungen in den nächsten Jahren ausgenutzt werden“, sagte der Präsident Lukas Siebenkotten schon im Mai. Die Mieten würden „deutlich stärker als die Löhne steigen“. Die Politik müsse einschreiten, sonst würde es zu sozialen Verwerfungen kommen, prophezeit er. In der Politik sei der soziale Sprengstoff offenbar noch nicht angekommen. Immerhin wohnen 57,9 Prozent der Menschen in Deutschland zur Miete, besonders viele in Hamburg und Berlin. Zum Vergleich: In den Niederlanden beträgt der Mieteranteil an der Bevölkerung ein Drittel, in Polen nur 13 Prozent.

Zwar einigten sich SPD, Grüne und FDP im Koalitionsvertrag darauf, pro Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen. Vor einem Jahr startete der Kanzler das sogenannte „Bündnis für bezahlbares Wohnen“. Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) plant, ein neues Förderprogramm auf die Beine zu stellen, um Familien den Erwerb einer Bestandsimmobilie zu erleichtern. Darüber hinaus will sie die Wohneigentumsförderung für Familien mit einem Kind erhöhen. Doch die Branche scheint kein Vertrauen mehr in die Regierung zu haben. Am 25. September hatte der Kanzler Verbände zu einem Wohnungsgipfel geladen (siehe Seite 10). Zwei große Akteure hatten sich schon im Vorfeld geweigert, für das zu solchen Anlässen obligatorische Gruppenfoto mit Olaf Scholz zu posieren.

Bald könnten schon eine Million Wohnungen fehlen

Was die Bundesregierung nicht möglich macht, schafft wenigstens die Opposition eines kleinen Freistaates. Auf Landesebene bringt die Grunderwerbssteuer die höchsten Einnahmen. Trotzdem stimmten in Thüringen CDU, AfD und FDP gegen den Willen der rot-rot-grünen Landesregierung und setzten gemeinsam die Senkung der Grunderwerbssteuer durch. Sie soll jetzt fünf statt 6,5 Prozent der Bemessungsgrundlage (was in der Regel der Kaufpreis ist) betragen. Damit entgingen der Regierung jährlich, so Prognosen, 48 Millionen Euro. Für den selbstgenutzten Ersterwerb erstattet darüber hinaus das Land bis zu 25.000 Euro. Das Gesetz soll am 1. Januar 2024 in Kraft treten. Sinn der Sache ist einfach die Förderung von Eigentum. 

Denn wer sich den Monatsbericht des Bundesfinanzministeriums über Steuereinnahmen im Juni 2023 anschaut, sollte die Strategie dahinter erkennen: Von einem „merklichen Rückgang“ bei der Grunderwerbssteuer ist dort die Rede, genauer „um 33 Prozent gegenüber dem Vorjahr.“ Im Jahr zuvor sanken die Einnahmen bereits um 6,6 Prozent auf 17,1 Milliarden Euro. In diesem Jahr wird das Aufkommen auf 13 Milliarden geschätzt.

Der Tagesspiegel berichtete am 20. September, daß die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ einen neuen Volksentscheid zur Vergesellschaftung großer Wohnungsunternehmen vorbereite. Das wolle sie am Dienstag, dem 26. September, bekanntgeben. „Genau dann jährt sich der erfolgreiche Enteignungs-Volksentscheid von 2021 zum zweiten Mal.“ Damals hatten sich 59,1 Prozent der Wähler für den Vorschlag der Initiative ausgesprochen, Wohnungsgesellschaftern mit 3.000 Wohnungen und mehr im Portefeuille zu vergesellschaften, also zu enteignen. „Das Volksbegehren war allerdings als Forderung an die Landesregierung formuliert, einen entsprechenden Gesetzentwurf zu erarbeiten.“ Doch mit dem neuen Anlauf zur Enteignung starten sie jetzt einen Gesetzentwurf. Wohlgemerkt: Nicht eine neue Wohnung würde dadurch gebaut.

Experten schätzen, daß bereits zwischen 700.000 bis 900.000 Wohnungen in Deutschland fehlen. Wie sehr sich die Entwicklung verschlechtert, zeigt die Reaktion von Vonovia auf die Bausituation: Sie lassen den Bau ruhen. „Bei uns liegen Planungen für insgesamt 60.000 Wohnungen in der Schublade“, sagte der Vorstandschef Rolf Buch. „Wir machen alles fertig bis zum Baurecht. Und hoffen, daß sich Bauen bald wieder lohnt und rechnet.“

Mit dem Versprechen: „Finden Sie jetzt Ihre Traumimmobilie“, lädt die Berliner Immobilien-Messe Ende September in den Loewe-Saal nach Moabit. 50 Aussteller preisen ihre Bauvorhaben an. Wohnungen in der Karibik gibt es da für 99.000 Euro. Penthäuser an der Havel werden für 1,2 Millionen Euro feilgeboten. Für Otto Normalverbraucher sind das keine Optionen. „Die Frage ist doch, wie übergriffig ist der Staat“, sagt Immobilienunternehmerin Schröder. „Anleger, die durchaus Mietobjekte kaufen könnten, trauen dem Staat nicht mehr. Schauen Sie sich die Lage in Frankreich an.“ 2022 hatte die Regierung unter Präsident Emmanuel Macron Besitzern ungedämmter Häuser die Vermietung verboten. Folge: Die Preise für Altbauten sinken. Das Mietangebot wird immer knapper. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß die Bundesregierung wie die französische Regierung reagiert.“