© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

„Diesmal überlege ich, Protest zu wählen“
Bayern: Von der Anti-Ampel-Stimmung scheinen vor allem die Freien Wähler und die AfD zu profitieren / Beobachtungen aus dem Wahlkampf
Mathias Hofer

Ein sonniger Septembervormittag in Aschaffenburg. In der Fußgängerzone ist Hochbetrieb. Die meisten Menschen sind zum Einkaufen in die Stadt gekommen und beachten die Informationsstände der zahlreich vertretenen Parteien kaum. Während die CSU sich beim Aufbau ihres Standes noch Zeit läßt, herrscht bei den Freien Wählern (FW) schon Betrieb. Sinnbild für die Stimmungslage im Freistaat?

Bei den FW ist man jedenfalls optimistisch. Die Kampagne der Süddeutschen gegen ihren Vorsitzenden, den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, habe der Partei nicht geschadet. Ein Mitglied betont: „Die Vorwürfe waren halt recht übertrieben. Aiwanger war damals noch sehr jung, und wir alle haben in unserer Jugend unvernünftige Sachen gemacht.“ Und er fügt hinzu: „Wir stehen alle geschlossen hinter Aiwanger.“

Glaubt man den Meinungsumfragen, haben die Vorwürfe gegen Aiwanger in der Bevölkerung einen Solidarisierungseffekt ausgelöst. Die FW liegen in den Umfragen bei 16 bis 17 Prozent. Die Aschaffenburger Landtagskandidatin Maili Wagner hebt die Erfolge der Freien Wähler hervor. Auf Landesebene habe Umweltminister Thorsten Glauber „einige Akzente gesetzt, zum Beispiel mit einem Moorschutzprogramm.“ Zugleich habe sich Wirtschaftsminister Aiwanger „stets für den ländlichen Raum und die Landwirte eingesetzt.“ Ihr als Lehrerin sei die Bildungspolitik besonders wichtig, betont Wagner. In der Asylpolitik, die auch in Bayern immer mehr als das drängendste Problem gesehen wird, konnte die Partei dagegen ihre Forderungen kaum durchsetzen. Interessanterweise findet man in der im April 2023 veröffentlichten Bilanz der Landtagsfraktion sehr viel zu Umwelt, Gesundheit oder Bildung, aber fast nichts zu den Themen Innere Sicherheit und Asyl. „Hier fallen die Hauptentscheidungen auf Bundesebene“, betont Wagner.

Bei der AfD sieht man das freilich anders. Spitzenkandidat Martin Böhm sieht im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT sehr wohl Handlungsmöglichkeiten auch auf rein bayerischer Ebene: „Was wohl keinem Bürger nachvollziehbar gemacht werden kann, ist die Tatsache, daß in Bayern 2022 mehr als zwei Drittel aller Rückführungsversuche gescheitert sind. Hier muß künftig konsequent gesichert werden, daß Ausreisepflichtige vor dem Termin nicht einfach untertauchen. Außerdem muß Organisationen und sogenannten Aktivisten, die rechtmäßige Rückführungen systematisch hintertreiben und sabotieren, mit allen Mitteln des Rechtsstaats das Handwerk gelegt werden.“

Vieles beim prominenten Mitbewerber sei reine Wahltaktik, kritisiert Böhm: „Hubert Aiwanger macht gern ab und zu mal einen taktischen Ausfallschritt, um seine Klientel zu bedienen. Tatsächlich hat er aber in den letzten fünf Jahren brav den Mehrheitsbeschaffer für die CSU gespielt.“ Noch härter fällt das Urteil des AfD-Abgeordneten über den Ministerpräsidenten aus: „Markus Söder kommt völlig ohne Überzeugungen aus, ihm geht es bloß um Machterhalt und um Freunderlwirtschaft zum gegenseitigen Nutzen, wie sich an den dubiosen Maskendeals und dem Nürnberger Zukunftsmuseum deutlich gezeigt hat.“ Unübertroffen sei er nur „in seinem Geltungsdrang und seinen Selbstdarstellungsexzessen – man denke nur an die 180.000 Euro Steuergeld, die er letztes Jahr für Fotografen ausgegeben hat, die ihn ins rechte Licht setzen sollten“, meint Böhm. 

Am Wahlkampfstand der AfD in Aschaffenburg ist schon am späten Vormittag einiges los. Der lokale Kandidat und Vorsitzende des Kreisverbandes, Klaus-Uwe Junker, empfindet die Medienberichterstattung über seine Partei als sehr unausgewogen. So beklagt er eine zu starke Konzentration der Öffentlichkeit auf die Person Björn Höckes: Dabei sei der Thüringer „doch nur einer von 16 Landesvorsitzenden“. Mit der Arbeit der beiden Bundesvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla ist Junker offenbar zufrieden, was wohl für einen großen Teil der bayerischen AfD zu gelten scheint.

Insgesamt wirkt der Landesverband im Freistaat derzeit recht geschlossen, was in der Vergangenheit nicht immer so war. Die neben Martin Böhm als Spitzenkandidatin kandidierende Katrin Ebner-Steiner wird in den Medien dem ehemaligen „Flügel“ um Björn Höcke zugerechnet. In der nun zu Ende gehenden Legislaturperiode hat die Fraktion im Münchner Maximilianeum mit internen Streitereien und – ähnlich wie in anderen Bundesländern auch – Austritten von fünf Abgeordneten für Schlagzeilen gesorgt. 

Kandidat Junker, auf Listenplatz 4 im Stimmkreis Unterfranken, vertritt eine eher moderat-pragmatische Linie und ist aktiv in der Arbeitsgemeinschaft der Christen in der AfD. In der Energiepolitik plädiert er für Technologieoffenheit. Wichtig ist ihm, „das unsinnige Gendern“ in den Schulen abzuschaffen und sich stattdessen „mehr auf eine gute Ausbildung zu konzentrieren.“

In der Landeshauptstadt München ist die Stimmung weniger gelassen als im beschaulichen Aschaffenburg. Ein grüner Wahlkämpfer, der den Passanten Info-Broschüren seiner Partei in die Hand drücken will, bekommt nicht viele los. Ein Mann um die 50 regt sich über das beschlossene Heizungsgesetz auf: „So a Schmarrn. Das bringt nix für die Umwelt, sondern kost’ nur die Bürger viel Geld.“ Und überhaupt würden die Grünen kaum das Klima schützen, sondern nur der Wirtschaft schaden, lautet das Verdikt des aufgebrachten Passanten. 

Am Wahlstand der CSU herrscht eher gelangweiltes Desinteresse. Es regt sich niemand groß auf, aber nur wenige Menschen kommen an den Stand. Ein älterer Mann, der laut eigener Auskunft vor zwanzig Jahren aus Nordrhein-Westfalen nach München gezogen ist, hat bisher immer CSU gewählt, wie er versichert. „Aber diesmal überlege ich, Protest zu wählen. Die Energiewende verschlingt Hunderte Milliarden Steuergelder, und trotzdem haben wir die höchsten Strompreise in Europa“, empört er sich. Die CSU und vor allem die CDU hätten jedoch „diesen Wahnsinn immer unterstützt, ebenso in der Ausländerpolitik“.

„Diesen Leuten legen wir das Handwerk“

Dieser Stimmung nach zu urteilen, könnten AfD und Freie Wähler die Gewinner der Wahl nächste Woche werden. Die CSU scheint von den absehbaren Verlusten der Ampel-Parteien im Freistaat nicht profitieren zu können und stagniert in den Umfragen auf einem für sie niedrigen Niveau von etwa 37 Prozent. Das reicht dennoch sicher zum Weiterregieren mit dem bisherigen Koalitionspartner, zu dem das Verhältnis aber seltsam gespalten bleibt.

So hat Aiwangers aufsehenerregende Rede auf der Demonstration gegen das Heizungsgesetz in Erding Teile der CSU verärgert, besonders seine Aussage, es gelte „die Demokratie zurückzuholen“. Aiwanger erntete vor Ort mit dieser Aussage viel Applaus, in den Medien und seitens der politischen Konkurrenten dagegen hagelte es heftige Kritik. Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) kommentierte es mit den Worten: „Wir haben Demokratie, und die muß man sich nirgendwo zurückholen.“ Angeblich war auch Söder, der selbst in Erding auftrat – und ausgepfiffen wurde –, über Aiwangers Rede verärgert. 

Doch hauptsächlich weil er von den Freien Wählern abhängig ist, hielt er während der sogenannten Flugblatt-Affäre an seinem Stellvertreter Aiwanger fest. Daß die Grünen wegen ihres Kurses in der Energie-, Wirtschafts- und Asylpolitik als Koalitionspartner im Freistaat für seine Partei nicht in Betracht kommen, hat der CSU-Chef jüngst noch einmal bekräftigt. Ein solches Bündnis würde noch mehr konservative Wähler ins Lager der Freien Wähler oder gar der AfD treiben. 

Auf dem CSU-Parteitag am vergangenen Wochenende blies Söder zum Frontalangriff auf die AfD: „Diese Leute kommen nicht an die Macht. Diesen Leuten legen wir das Handwerk, so wahr mir Gott helfe, wir als CSU verhindern, daß solche Leute die Macht in unserem Land übernehmen!“

Dagegen ist Aiwanger in seiner Kritik an der AfD maßvoller. Auch seine Zweifel an den sehr harten Corona-Auflagen Söders sollen bei vielen AfD-Sympathisanten gut angekommen sein. Letztendlich konkurrieren CSU, Freie Wähler und teilweise auch die AfD um ein ähnliches Wählerpotential. Das weckt einerseits das Bedürfnis nach Abgrenzung, andererseits will man sich auch für die Klientel der Konkurrenten interessant machen.

In Unterfranken sieht man derartiges entspannter als anderswo in der Republik. Bei der AfD wird betont, daß der Umgang mit den Vertretern der anderen Parteien auf lokaler Ebene nicht feindselig sei. Und während Hunderte von Passanten in Aschaffenburgs Innenstadt an den verschiedenen Wahlständen vorbeikommen, gibt es an diesem spätsommerlichen Vormittag keinerlei laute Unmutsäußerungen oder gar Beschimpfungen. Soviel Toleranz findet man nicht überall in Deutschland.