© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 40/23 / 29. September 2023

Versprochen, gebrochen
Sozialpolitik: Laut Koalitionsvertrag will die Ampel die Freiwilligendienste ausbauen / In der Realität tut sie das Gegenteil und kürzt die Mittel
Peter Möller

Vor zwei Jahren, als die Ampel-Parteien noch voller Hoffnung auf eine gemeinsame erfolgreiche Zukunft waren, konnten sich auch die Träger der sozialen Freiwilligendienste in Deutschland auf bessere Zeiten einstellen. Jedenfalls wenn sie auf den Vertrag der selbsternannten Fortschrittkoalition vertrauten: „Die Plätze in den Freiwilligendiensten werden wir nachfragegerecht ausbauen, das Taschengeld erhöhen und Teilzeitmöglichkeiten verbessern. Wir werden den Internationalen Freiwilligendienst stärken“, heißt es dort kurz und knapp, aber verbindlich. 

Doch von diesen Versprechungen ist nicht viel geblieben, denn in den kommenden beiden Jahren plant die Bundesregierung drastische Einsparungen beim Freiwilligendienst. Der Haushaltsentwurf für 2024 sieht erhebliche Kürzungen in der Förderung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) und des Bundesfreiwilligendienstes (BFD) vor. Demnach sollen 113 Millionen Euro gestrichen werden, etwa ein Drittel des bisherigen Budgets. Dem FSJ und dem BFD sollen nach den Plänen der Ampel im kommenden Jahr 78 Millionen Euro und 2025 weitere 35 Millionen Euro gestrichen werden. Damit wäre jede vierte Einsatzstelle gefährdet und die Zahl der Plätze in den Freiwilligendiensten reduziert.

Dadurch werde ein wichtiges Instrument zur Gewinnung junger Menschen für soziale Berufe und gesellschaftliches Engagement massiv beschnitten, fürchten Kritiker der Kürzungspläne. In der Praxis würden die drohenden Einschnitte bedeuten, daß beispielsweise in Kindergärten, Einrichtungen für Menschen mit Behinderung, Pflegeeinrichtungen oder Krankenhäusern keine FSJler oder „Bufdis“ mehr eingesetzt werden könnten – mit unabsehbaren Folgen für die betroffenen Einrichtungen und ihre Träger. Unter anderem die Diakonie, die Arbeiterwohlfahrt (AWO), das Deutsche Rotes Kreuz (DRK) und das katholische Bistum Essen warnen daher vor einem „Kahlschlag im Sozialbereich“.

Die Bevollmächtigte des Rates der Evangelischen Kirche, Anne Gideon, sagte der Nachrichtenagentur epd, sie „bedaure sehr“, daß der Haushaltsplan des Bundes „massive Kürzungen“ vorsehe. „Kindergrundsicherung, Elterngeld und Freiwilligendienst dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden“, sagte Gideon angesichts der Streitigkeiten in der Koalition um den Etat von Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Wenn Menschen Freiwilligendienste leisteten, sei das gut für sie und die Gesellschaft, bekräftige Gideon.

„Wir werden für die Finanzierung streiten“

In der vergangenen Woche wurde im Petitionsausschuß des Bundestages eine Petition beraten, die sich für eine bessere Ausstattung der Freiwilligendienste ausspricht und von mehr als 100.000 Bürgern unterzeichnet worden ist – noch bevor die geplanten Kürzungen überhaupt publik wurden. „Die Anzahl der innerhalb von nur vier Wochen gesammelten Unterschriften zeigt, welch hohen Stellenwert Freiwilligendienste in unserer Gesellschaft genießen. Wir müssen in freiwilliges Engagement investieren, statt die Axt anzulegen“, stellt der Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend Deutschland (aej), Michael Peters, fest.

Unterdessen versucht das zuständige Bundesfamilienministerium zu beschwichtigen. Aussagen zu zur zukünftigen Platzzahlen seien frühestens im Herbst 2023 möglich. Der im Sommer gestartete Freiwilligen-Jahrgang könne noch „im vollen Umfang bis zum Ablauf im Sommer 2024 finanziert werden“. Im ausgelaufenen Freiwilligenjahr 2022/2023 haben sich knapp 54.000 Jugendliche engagiert. Rund 36.000 Menschen leisten einen Bundesfreiwilligendienst.

Unumstritten sind die Kürzungen beim Freiwilligendienst in der Koalition nicht. Die jugendpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Emilia Fester, sagte dem epd, die Koalition habe sich vorgenommen, die Freiwilligendienste zu stärken und durch ein höheres Taschengeld und Teilzeitmöglichkeiten attraktiver zu machen. Die von der Ampel eigentlich ins Auge gefaßten Reformpläne lägen bereit, versicherte Fester: „Für die angemessene Finanzierung der Träger werden wir in den Haushaltsverhandlungen streiten.“ 

Doch das dürfte angesichts der vom Familienministerium kommunizierten „strikten Kürzungsvorgaben“ derzeit nicht viel mehr als Zweckoptimismus sein.