© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

Eine überfällige Kehrtwende
Trotz Kritik von Tierschützern wollen auch grüne Minister den Abschuß von Wölfen erleichtern
Alexander Tschich

Mehr als ein Jahrhundert war Deutschland weitgehend wolfsfrei. Selbst in Ostpreußen wurden zwischen 1900 und 1944 nur 101 Wolfserlegungen bestätigt (Zeitschrift für Jagdwissenschaft 9/1963). Nach 1945 wurden westlich von Oder und Lausitzer Neiße lediglich in der Altmark, Bayern, Brandenburg, Niedersachsen und im Rheinland vereinzelt Wölfe erlegt. Deshalb war es nicht nur für Tierfreunde ein freudiges Ereignis, als vor 23 Jahren in der Muskauer Heide (Oberlausitz) die erste Aufzucht von Wolfswelpen in freier Natur bestätigt wurde. Inzwischen leben schätzungsweise 1.500 Wölfe in Deutschland – Tendenz steigend.

Und das hat sich zu einem Problem entwickelt – und das nicht nur für Schäfer und Weidetierhalter: Im September 2022 riß der „Problemwolf“ GW950m das Pony „Dolly“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf seiner Koppel bei Burgdorf in der Region Hannover. Fachpolitiker von AfD, Freien Wählern und Union fordern schon seit Jahren einen vermehrten Abschuß von Wölfen – doch nur auf Landesebene gab es Bewegung im „Wolfsmanagement“. Bayern erleichterte trotz Protesten von Naturschützern im April den Wolfsabschuß. Doch nun schlägt selbst der grüne Agrarminister Cem Özdemir andere Töne an: „Es muß künftig leichter möglich sein, einzelne Wölfe und auch ganze Rudel zu entnehmen, die Herdenschutzmaßnahmen überwinden und Tiere töten“.

Herdenschutzmaßnahmen und staatliche Ausgleichszahlungen

Umweltministerin Steffi Lemke sprach schon im Juli über einen unbürokratischeren Abschuß von Wölfen. Doch beide wollen weiterhin nur die „Entnahme“ von Problemfällen. Laut der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) lebten im Monitoringjahr 2021/2022 offiziell 162 Wolfsrudel, 47 Wolfspaare und 21 territoriale Einzeltiere in Deutschland. Das seien 1.175 bestätigte Tiere – Praktiker schätzen, daß es inzwischen einige hundert mehr sind. Die Anzahl der Übergriffe durch Wölfe stieg innerhalb von zwölf Monaten um 17 Prozent und zog 29 Prozent mehr geschädigte und getötete Nutztiere nach sich. Mit 4.366 verletzten und getöteten Nutztieren infolge von 1.136 Übergriffen durch den Wolf, bildete das Jahr 2022 den aktuellen Höchststand – trotz starker Zunahme der Herdenschutzmaßnahmen in Form von Festzäunen und Elektronetzen.

Die Rückkehr des Wolfes ist auch mit steigenden Kosten für die Steuerzahler verbunden. Für Herdenschutzmaßnahmen wurden voriges Jahr 18.428.830 Euro aus der Staatskasse ausgegeben, die Ausgleichszahlungen entstandener Schäden summierten sich auf 616.413 Euro. Die Weidetierhaltung ist nicht einfach ein landwirtschaftliches Relikt, sondern stellt einen wichtigen Beitrag zum Natur- und Artenschutz dar. Die Beweidung trägt dazu bei, Biotope wie Trockenrasen, Feuchtwiesen, Heideflächen und viele weitere zu erhalten, die ohne diese Bewirtschaftungsform längst nicht mehr existent wären. Somit steht die Rückkehr des Wolfes mit anderen Bereichen des Naturschutzes im direkten Konflikt.

Neben den zunehmenden Problemen für die Weidewirtschaft ist auch der Verlust der Scheu vor dem Menschen ein potentielles Konfliktfeld. Immer häufiger werden Wolfssichtungen in Siedlungsnähe dokumentiert. Die schlauen Tiere merken, daß der Mensch für sie keine Bedrohung darstellt. Die Gefahr, Opfer eines Wolfsangriffs zu werden, ist zwar verhältnismäßig gering, aber nicht gleich null. Zwischen 2002 und 2020 kam es weltweit zu 489, in Europa zu 69 Wolfsangriffen auf Menschen – und das zum Teil mit tödlichem Ausgang. Dies zeigt, daß durchaus die Notwendigkeit besteht, Wölfe von Siedlungsflächen fernzuhalten und die Scheu vor dem Menschen aufrechtzuerhalten.

Von einigen Verbänden wird die Aufnahme des Wolfs ins Jagdrecht gefordert. Der niedersächsische Landtag folgte dieser Aufforderung und novellierte das Landesjagdgesetz dahingehend. Doch damit ist noch kein Weidetierhalter vor Wolfsübergriffen geschützt, da diese unter dem Schutz einer ganzjährigen Schonzeit stehen. Der Wolf ist nach Bundes- und EU-Recht weiterhin eine streng geschützte Art. Der Abschuß von Wölfen ist somit nach wie vor eine Einzelfallentscheidung. Solange der Wolf weiterhin im Anhang IV der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH; 92/43/EWG) geführt wird, der Liste streng geschützter Tier- und Pflanzenarten, wird sich dieser Umstand auch nicht ändern.

Die beschleunigte „Entnahme“ kann nur der erste Schritt sein

In Frankreich, Schweden oder Osteuropa wird die FFH-Richtlinie flexibler ausgelegt und wesentlich beherzter in die Wolfsbestände eingegriffen. Die Entnahme einzelner „Problemwölfe“ stellt allerdings noch kein aktives Management dieser Art dar. Anstatt den Abschuß einzelner Wölfe nach Vorfällen zu erleichtern, muß ein wissenschaftlich fundiertes Wildtiermanagement entwickelt werden, bei dem sowohl wildbiologische, ökonomische und soziale Aspekte Berücksichtigung finden. Als Maßnahmen bieten sich sowohl regionale Bestandesobergrenzen als auch wolfsfreie Gebiete, beispielsweise in Siedlungsnähe an.

In weiten Landesteilen ist der Wolf wieder heimisch geworden. Daß dies zu Konflikten führt, war von Beginn an absehbar. Im Januar wurde dennoch eine Petition zur Aufnahme des Wolfes ins Jagdrecht von den Ampel-Parteien und der Linken schon im Petitionsausschuß des Bundestages gestoppt. Daß nun selbst grüne Bundesminister verhalten nach Lösungsansätzen suchen, macht den Weidetierhaltern Hoffnung. Die Entbürokratisierung und damit beschleunigte Entnahme einzelner Tiere kann aber nur der erste Schritt sein. Mit der weiteren Ausbreitung des Wolfes wird man auch nicht um weitere Eingriffe in die Bestände und damit letztendlich ein aktives Wildtiermanagement für die Art Wolf herumkommen. Es ist nur eine Frage der Zeit.

 dbb-wolf.de