Die Jüdische Allgemeine ( JA) hat schon mal bessere Zeiten gesehen – zumindest was die Auflage angeht. Ende 2020 besaß die Wochenzeitung nur noch 3.424 Abonnenten. Seitdem hat sie die IVW-Kontrolle ihrer Auflage eingestellt. Zwanzig Jahre zuvor waren es immerhin 8.000 Abonnenten. Das 1946 gegründete Wochenblatt, das vom Zentralrat der Juden in Deutschland (ZdJ) mit einer hohen sechststelligen Summe jährlich subventioniert wird, leidet wie viele andere Zeitungen unter Auflagenschwund.
Trotzdem wird die JA wahrgenommen. Etwa neulich ein vielbeachteter Kommentar von Philipp Peyman Engel zum „Kostümjuden“ Fabian Wolff, jenem vorgeblich jüdischen Publizisten, der mit aggressiver Israelkritik in linksliberalen Blättern offene Türen einrannte.
Engel, geboren 1983 im Ruhrgebiet als Sohn einer aus dem Iran geflüchteten Jüdin und eines nichtjüdischen Deutschen, ist nun zum neuen Chefredakteur ernannt worden. Er wolle die Jüdische Allgemeine kontroverser, relevanter und digitaler machen, sagte er der NZZ in einem Interview. Daß er Kontroversen nicht scheut, hat er mit Artikeln bewiesen, die den verbreiteten Antisemitismus in muslimischen Zuwanderermilieus kritisieren. Es sei traurige Realität, daß man als Jude durch bestimmte Viertel wie Neukölln oder Teile des Ruhrgebiets nicht mit Kippa laufen könne, klagt er.
Engel schreibt seit 2012 für die Jüdische Allgemeine. Nicht ganz glaubwürdig wirkt Engels Versicherung, die Zeitung sei unabhängig vom Zentralrat, „komplett frei“. Allein die Schlagzahl der ständigen Interviews mit dem ZdJ-Vorsitzenden Josef Schuster spricht dagegen. Kritiker der Organisation kommen fast nie zu Wort. Die Konkurrenzzeitung Jüdische Rundschau ist da ganz anders. Sie beklagt, was für eine abgeschottete Organisation der ZdJ sei.
Eine gewisse Schlagseite nach links ist bei der Jüdischen Allgemeinen nicht zu verkennen. Jüngst veröffentlichte sie einen Gastkommentar gegen Hubert Aiwanger aus der Feder von Ernst Grube. Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau watschte Aiwanger kräftig ab. Was die Zeitung zu erwähnen vergaß, war Grubes eigene politische Verirrung als jahrzehntelanges (bis heute) Mitglied der verfassungsfeindlichen DKP. Nach links gibt man sich eher tolerant. Der Aufschwung der AfD beunruhigt dagegen die Zeitung und Engel sehr. Daß es in der Partei auch eine aktive Arbeitsgemeinschaft „Juden in der AfD“ gibt, tut der neue Chefredakteur als „Feigenblatt“ ab. Falls er wirklich Kontroversen mag, könnte er ja mal ein offenes Streitgespräch mit rechten deutschen Juden wagen.