© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

Mit zweierlei Haß messen
Twitch hat strenge Politregeln: Doch für linke Streamer scheinen diese nicht zu gelten
Boris T. Kaiser

Die Live-Streaming-Plattform Twitch, auf der sich jedermann bei banalen Beschäftigungen wie Online-Glücksspiel, Yoga oder Debattieren selbst filmen und dafür von Zuschauern mit digitalen Spenden beschenken lassen kann, hat in ihren Community-Richtlinien strenge Regeln für politische Inhalte festgeschrieben. Bei bestimmten Vergehen können Streamer auch schon beim ersten Verstoß dauerhaft gesperrt werden. Selbst dann, wenn diese gar nicht auf der Plattform selbst stattfinden. Als Beispiele werden unter anderem eine „Führungsposition, Mitgliedschaft oder Sponsoring in einer bekannten Haßgruppe“ oder die Einschätzung als „Verbreiter von schädlichen Falschinformationen“ genannt. 

Auch das Publizieren von „Botschaften der Intoleranz“ ist auf Twitch selbstverständlich strengstens verboten. Diese Richtlinien gelten in der Theorie natürlich für alle Nutzer gleichermaßen. In der Realität sind aber auch bei der Amazon-Tochter einige mal wieder ein bißchen gleicher als andere.

Wenn überhaupt hagelt es lediglich kurze Sperren

Denn während konservative und rechte Kanäle wie „Clownswelt“, „Krys Anger“ oder „CEO“ oft schon wegen kleinster angeblicher Regelverletzungen, denen oft detaillierte Begründungen und Belege fehlen, unbefristet in die digitale Verbannung geschickt werden, dürfen linke bis linksradikale Videoproduzenten nach Herzenslust und mitunter ziemlich extrem die ideologische Sau rauslassen. Beispiel „Dekarldent“: Einst als durchschnittlicher Gaming-Streamer – also als Clipmacher, der sich beim Computerzocken filmt – gestartet, sind seine Beiträge mit der Zeit zunehmend linker und radikaler geworden. 

Dabei nimmt Dekarldent, der sich auch Karl Krey oder schlicht Karl nennt, auch immer wieder ganz konkret politische Gegner ins Visier. Diese stehen für den Medienmacher selbstverständlich rechts. Um von ihm dort eingeordnet zu werden, muß eine Person noch nicht einmal explizit politisch sein. Es genügt vollkommen, wenn sie in irgendeinem Punkt von den ständig strenger werdenden Vorgaben der Social Justice Warrior abweicht.

Ob anti-woke TikToker, „die dummen Deutschen“, Helge Schneider, der sich „sehr vereinfacht und versimpelt und simplifiziert“ gegen den von Linken konstruierten Begriff der „kulturellen Aneignung“ ausspricht, oder der Kabarettist Serdar Somuncu, der sich öffentlich mit der „rechten“ Linkssozialistin Sahra Wagenknecht unterhalten und dabei auch noch abweichende Positionen zu Themen wie „Ukraine, Corona, Rechts und Links“ einnimmt: Karl haut (verbal) auf alles drauf, was für ihn ein „absoluter Fiebertraum“ und nicht politisch korrekt ist. Von dem Content Creator in dieser Weise „markierte“ Personen werden regelmäßig mit Shitstorms, Gewaltandrohungen und Onlinemobbing übersät.

Ein ganz ähnliches Kaliber wie Karl Krey ist „Staiy“. Der Youtube- und Twitch-Streamer sieht Dekarldent nicht nur zum Verwechseln ähnlich, die beiden haben mit „Alman Arabica“ einen gemeinsamen Podcast – und könnten auch ideologisch nahezu Zwillinge sein. Staiys Definition von „rechts“ reicht von Markus Söder über Friedrich Merz bis hin zu Boris Palmer, „der seine ideologische Perspektive schon zeigt, wenn du dem sagst „Herr Palmer, was denken Sie, wenn ich ihnen sage ‘Schaumkuß’?“. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki ist für den Videomacher nicht nur rechts, sondern „einfach nur ein Trottel“, wie er in einer Reaktion auf das Video „Rechte Politik: Darum geht es wirklich!“ des öffentlich-rechtlichen Formats „Die da oben“ sagte.

Nicht nur in Deutschland scheint Twitch mit extrem linken Streamern deutlich nachsichtiger zu sein als mit Rechten. Der unter dem Namen „HasanAbi“ bekannte US-Amerikaner Hasan Piker ist in der Vergangenheit wiederholt durch Verteidigung des Islamismus und antiweißen Rassismus aufgefallen. So sagte er unter anderem, daß Amerika die Anschläge vom 11. September 2001 „verdient“ habe und äußerte sich über den Afghanistan-Veteran und US-Abgeordneten Dan Crenshaw wie folgt: „Was zum Teufel ist los mit diesem Kerl? Ist er nicht in den Krieg gezogen und hat buchstäblich sein Auge verloren, weil irgendein Mudschaheddin, ein tapferer Soldat, sein Augenloch mit seinem Schwanz gefickt hat?“ 

Für beide Aussagen wurde er von Twitch lediglich für eine Woche gesperrt. Ebenfalls nur eine Woche Sperre kassierte er für den Ausdruck „Cracker“, mit dem er Weiße betitelte. Was „Haßrede“ ist, liegt eben immer im Auge des „Support-Teams“ des Tech-Konzerns.