© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

„Vom Regen in die Jauche“
Ausstellung: Das Deutsche Historische Museum in Berlin widmet sich dem Liedermacher Wolf Biermann
Regina Bärthel

Er sei eine „Legende ohne Totenschein“, sagt Wolf Biermann über sich – nicht ganz zu Unrecht: Immerhin sehen manche Historiker seine Ausweisung aus der DDR als ersten Riß im Schutzwall des SED-Staates. Dabei war Biermann doch gekommen, um tatkräftig am Aufbau des realexistierenden Sozialismus mitzuwirken. Doch sehr rasch kam es zur Konfrontation zwischen dem rebellischen Geist und der zunehmend diktatorisch agierenden Staatsmacht, deren Restriktionen den Furor des Künstlers nur noch weiter entfachten. 

Mit der Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher aus Deutschland“ zeichnet das Deutsche Historische Museum (DHM) in Berlin den Lebensweg eines der bekanntesten deutschen Liedermacher nach. Mit zahlreichen Objekten wie Harmonium, Gitarre und Erika-Schreibmaschine wird das Leben Biermanns greifbar gemacht; seine Lieder können in einer Art Schalloch, umgeben von Wänden, die an den Korpus einer Gitarre erinnern sollen, abgespielt werden. 

Ansatzweise begreifbar wird Biermanns Leben durch zahlreiche Dokumente und Filmaufnahmen. Das inhaltliche Zentrum der Ausstellung, wenn nicht gar von Biermanns Leben, bildet das legendäre Kölner Konzert vom 13. November 1976, in dessen Anschluß die SED dem kritischen Liedermacher wegen „parteischädigenden Auftretens in der Öffentlichkeit“ die Rückkehr in seine Wahlheimat DDR verbot. „Die Ausbürgerung war das zentrale deutschlandpolitische Ereignis der 70er Jahre“, schrieb der Spiegel damals, während die Volksstimme in der DDR von einem „logischen Schlußstrich unter einem Verrat“ sprach.

Die SED verhängte über ihn ein Auftritts- und Publikationsverbot 

Dabei hätte alles so schön sein können: Biermann, 1936 in Hamburg geboren, siedelte mit 16 Jahren in die DDR über – damals gar nicht ungewöhnlich für ein Kind aus einer vom Kommunismus überzeugten Familie. Nach dem Abitur begann er ein Studium der politischen Ökonomie, das er für das Theater abbrach: Am Berliner Ensemble, dem Haus seines großen Vorbilds Brecht, stand er gemeinsam mit Helene Weigel auf der Bühne. Mit seinem „Berliner Arbeiter- und Studententheater (b.a.t.)“ allerdings scheiterte er an den Maßgaben der SED-Kulturpolitik; bereits sein erstes Stück „Berliner Brautgang“, das sich mit den sozialen Auswirkungen des Mauerbaus beschäftigte, wurde verboten, das Theater geschlossen. Mehrfach bekam Biermann zu dieser Zeit Besuch von Margot Honecker, einer Freundin der Familie, die ihn auf den wahren sozialistischen Weg zurückführen wollte. Allein, Biermann blieb von der Rechtmäßigkeit seiner Kritik überzeugt. Sein Antrag auf Mitgliedschaft in der SED wurde abgelehnt.

Noch immer aber konnte Biermann in den Westen reisen. Seine Eindrücke zum geteilten Deutschland formulierte er im Gedicht „Wintermärchen“: „So gründlich haben wir geschrubbt / Mit Stalins hartem Besen / Daß rot verschrammt der Hintern ist / Der vorher braun gewesen.“ Ohne das Wissen des Autors veröffentlichte der West-Berliner Kabarettist Wolfgang Neuss das Gedicht 1965. Ein Affront. Als im gleichen Jahr Biermanns erster Gedichtband „Die Drahtharfe“ in West-Berlin erschien, war das Maß voll. Auf dem 11., dem sogenannten „Kahlschlag“-Plenum des Zentralkomitees (ZK) wurde er gemeinsam mit anderen Künstlern scharf kritisiert und ein generelles Auftritts- und Publikationsverbot über ihn verhängt – trotz zahlreicher Proteste von ostdeutschen Kulturschaffenden wie auch aus dem Westen.

Fortan wurde seine Wohnung in der Ost-Berliner Chausseestraße 131 zu Biermanns einziger Bühne in der DDR; zu seinem Publikum zählten allerdings namhafte Künstler aus Ost und West. Hier schrieb er unzählige Gedichte und nahm seine Lieder auf, die dann im Westen veröffentlicht wurden. Die Erlöse jener Platten- und Buchverkäufe wurden ihm übrigens von der „Anstalt zur Wahrung der Aufführungsrechte auf dem Gebiete der Musik“ (AWA) der DDR ausgezahlt.

Gleichzeitig erfolgte eine lückenlose Überwachung des Liedermachers, dessen Wohnung abgehört, dessen Schritte penibel dokumentiert wurden. Die hierzu angewendete Technik, die ebenfalls in der Ausstellung zu sehen ist, wirkt angesichts heutiger Möglichkeiten nahezu rührend altmodisch. Dennoch: Die Stasi sei – in Anlehnung an Goethes eifrigen Sekretär – sein „Eckermann“. Doch der Mann am Abhörgerät beging einen kulturellen Lapsus und notierte statt dessen „Henkersmann“. 

War die Stasi Biermanns unermüdlicher Chronist, so beförderte die SED ganz ungewollt die Karriere des Liedermachers: Durch ihre Restriktionen brachte sie den Rebellen vom Theater zu Lyrik und Musik (beides trotz Verbotes leichter zu verbreiten) und schuf einen um so vehementer sich äußernden Kritiker – mit besten Kontakten in den Westen. Ins Gefängnis werfen konnten sie den inzwischen berühmten Dissidenten längst nicht mehr – im Gegensatz zu jenen, die seine verbotenen Texte als Samisdat, also als geheim vervielfältigte und weitergereichte Untergrundliteratur, innerhalb der DDR verbreiteten.

War es nicht verdächtig, daß er nach zehn Jahren eines umfassenden Auftrittsverbots die Erlaubnis für ein Konzert in Westdeutschland erhielt? Mit seiner Ausbürgerung, die nach heutiger Kenntnis bereits beschlossen war, hatte wohl niemand gerechnet. „Mir wurde elend vor Angst, dunkel vor Augen“, beschrieb Biermann seine Reaktion auf den Verlust seiner Wahlheimat. Denn ohne Frage war er trotz seiner massiven Kritik am SED-Staat noch immer überzeugter Kommunist, der nun vom sozialistischen „Regen in die Jauche“ (Biermann) des Kapitalismus gestoßen worden war.

Engagement für die Grünen, Kritik an der Linkspartei

Allerdings: Biermann fand sich zurecht. Dabei halfen ihm nicht nur seine zahlreichen Kontakte innerhalb des westlichen Medien- und Kulturbetriebs, sondern auch sein Status als verfemter Kritiker der SED-Diktatur. Auch fand er in der Bundesrepublik der siebziger Jahre neue Felder, auf denen er seine lyrische wie politische Stimme einsetzen konnte: Biermann engagierte sich für die Friedensbewegung, die Anti-Atomproteste wie auch für die noch junge Partei „Die Grünen“.

Währenddessen zerbrach in der DDR der Grundkonsens zwischen Kulturschaffenden und Regierung. Namhafte Künstler bekundeten ihre Solidarität zum Ausgestoßenen und forderten in einem Protestbrief die SED zum „Überdenken“ ihrer Entscheidung auf. Hunderte stellten Ausreiseanträge. Biermanns Stellung als Identifikationsfigur für kritische Bürger der DDR wurde durch seine Ausweisung noch verstärkt – bis hin zur Friedlichen Revolution von 1989.

Zunächst skeptisch gegenüber deren Erfolgsaussichten, begleitete Biermann nach der Wende den Prozeß der Wiedervereinigung auf gewohnt kritische Art und engagierte sich für den Erhalt der Stasi-Akten und die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Harsche Kritik übte er später auch an der Nachfolgepartei „Die Linke“; unter anderem bei seiner 2014 gehaltenen rebellischen Rede im Bundestag. Was die Ausstellung allerdings nicht thematisiert, ist Biermanns generelle Abkehr von der „Illusion Kommunismus“, dessen stets totalitäre Praxis mit der Demokratie nicht vereinbar sei. 

Der letzte Teil der Ausstellung ist dem Judentum gewidmet: Biermanns Vater Dagobert war als Kommunist und Jude 1943 in Auschwitz ermordet worden. Biermanns privates Holocaust-Mahnmal wird in der Ausstellung als Objekt zitiert, ebenso wie seine 1991 geäußerte bedingungslose Solidarität zum attackierten Israel, für ihn ein „fremdvertrautes Vaterland“. Auch später kritisierte Biermann immer wieder die „aggressive Ignoranz der westlichen Welt“ gegenüber dem jüdischen Staat sowie eine antiisraelische Stimmung in vielen deutschen Medien.

In der Rückschau ist es kaum möglich, den Künstler von der politischen Gestalt innerhalb der Auseinandersetzung zwischen zwei Systemen zu trennen. Dem Versuch der Vereinnahmung verwehrte er sich nach beiden Seiten – um so befremdlicher wirkt die Triggerwarnung des Museums zu einer Buchwidmung, in der Biermann von „Zigeunern“ spricht. Auch die private Person spielt in der Ausstellung nur eine untergeordnete Rolle. Doch es gibt ja noch seine etwa 200 Tagebücher, die er seit 1954 kontinuierlich geführt hat. Vor zwei Jahren übergab Biermann sie an die Berliner Staatsbibliothek. Sie gilt es noch zu sichten.

Die Ausstellung „Wolf Biermann. Ein Lyriker und Liedermacher in Deutschland“ ist bis zum 14. Januar 2024 im Deutschen Historischen Museum, Pei-Bau, Hinter dem Gießhaus 3, 10117 Berlin, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Der Begleitband (Ch. Links Verlag) mit 224 Seiten und zahlreichen Abbildungen kostet 25 Euro.

 www.dhm.de