© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

Krieg im Kopf
Film: „Wochenendrebellen“ ist Echokammerkino für die linke Szene. Schade, denn das Problem Autismus verdient durchaus eine große Öffentlichkeit
Dietmar Mehrens

Man muß sich das vorstellen wie einen Computer, der lauter sich widersprechende Befehle bekommt, erklärt Jason (Cecilio Andresen) den „Krieg“, der manchmal in seinem Kopf ausbricht, irgendwann „crasht das System“. Ein anderer Versuch, die Normabweichung, mit der er sich herumschlagen muß, in verständliche Begriffe zu kleiden, ist das „Wrong-Planet-Syndrom“: das Gefühl, ganz allein auf einem Planeten gelandet zu sein, auf dem alle anders sind als man selbst.

Für Jason nehmen Dinge, die für Normalsterbliche ein Klacks sind, die Dimensionen monströser Bedrohungen an: zufällige Berührungen, unerwarteter Krach, fehlende Ordnung auf dem Teller oder einfach das unlogische Verhalten seiner Mitmenschen, namentlich seiner Eltern. Am Kühlschrank in der Küche hängt daher eine „Familienvereinbarung“ mit einem Dutzend Regeln. Regel Nummer eins: „Essen darf nicht weggeworfen werden.“ Denn natürlich ist der Zehnjährige aktuellen Zeitgeistphänomenen wie Klimapanik, Fleischverzicht und Nachhaltigkeitsfuror besonders wehrlos ausgeliefert. In seinem Hirn potenzieren sich die in seiner Generation verbreiteten Zukunftsängste zu einem Wahnbild des Grauens. Jason leidet wie Klimaschutz-Ikone Greta Thunberg am Asperger-Syndrom, einer Form von Autismus.

Parcours durch Deutschlands Fußball-Bundesliga-Stadien

„Autismus ist eine Behinderung und nicht heilbar“, klärt am Anfang des Films eine Ärztin – natürlich mit Regenbogen-Symbol an der Wand – die jungen Eltern Mirco (Florian David Fitz) und Fatime (Aylin Tezel) auf, nachdem diese bemerkt haben, daß mit ihrem Kind etwas nicht stimmt.  Jahre später haben die Eltern ein zweites Kind. Jason geht inzwischen zur Schule. Doch zur Routine ist seine Behinderung deswegen noch lange nicht geworden.

Der Verhaltensauffällige muß die Hänseleien von Mitschülern ertragen, rastet immer wieder aus und wird zur Belastung für die ganze Schulklasse. Ihm droht der Wechsel auf eine Förderschule. Doch das will der Junge nicht. Dann schon lieber dem Tip seines Opas (Joachim Król), eines begeisterten Dortmund-Anhängers, folgen und sich fußballerisch engagieren. Da Jason aber im Gegensatz zum Rest der Familie und vielen Klassenkameraden keine Lieblingsfußballmannschaft hat, fordert er nun: „Ich will einen Lieblingsverein!“, stellt eine Liste von Kriterien auf, die dieser zu erfüllen hätte, und rechnet aus, daß er mit seinem „Papsi“ nunmehr – Wochenende für Wochenende – 56 Bundesligastadien zu besuchen habe, um der Kür eine ordentliche Basis zu geben. Jasons Mutter findet die Idee gut. Schließlich hat sich der Vater des Kindes für ihre Begriffe viel zu lange hinter seiner Berufstätigkeit verschanzt und ihr die ganze Last der Erziehung aufgebürdet. Und so beginnt ein aufregender und ereignisreicher Parcours durch Deutschlands Bundesligastadien.

Wie Barry Levinson in seinem legendären Filmdrama „Rain Man“ (1988) mit Dustin Hoffman als Autismus-geplagtem Sonderling hat Regisseur Marc Rothemund die extremen Partikularbegabungen, die bei Autismus auftreten können, zum unterhaltsamen Unterthema gemacht: Jason kennt das ganze Sonnensystem auswendig und kann mit Astrophysikern ein Fachgespräch führen. Seine Religionslehrerin beleidigt er als „Verschwörungstheoretikerin“, weil er ihr die Geschichte aus dem Johannesevangelium (Kap. 9), in der Jesus einen Blinden durch das Bestreichen seiner Augen mit feuchter Erde heilt, nicht abnehmen kann.

So addieren sich leider die Details, die „Wochenendrebellen“ zum Wohlfühlkino der Regenbogenblase machen. Das ist zwar auch der Buchvorlage „Wir Wochenendrebellen – Wie ein autistischer Junge und sein Vater über den Fußball zum Glück finden“ (2019) beziehungsweise dem Blog wochenendrebell.de von Mirco und Jason von Juterczenka geschuldet, auf den das Buch zurückgeht; aber der Film nimmt die einseitigen Steilvorlagen allzu dankbar auf.

Und so stellt sich beim Betrachter mit zunehmender Spieldauer so etwas wie ein „Känguruh“-Effekt ein: Wie in Marc-Uwe Klings Büchern über ein linksradikales Känguruh und den dazugehörigen Filmen (JF 11/20 und 35/22) ist durchaus ein Bemühen zu erkennen, das eigene Milieu augenzwinkernd und mit sanfter Ironie darzustellen. Doch am Ende überwiegt der Eindruck, daß sich die Filmmannschaft beim Suhlen im eigenen ideologischen Morast so sauwohl gefühlt hat, daß sie es gern in Kauf nahm, wenn dadurch das berechtigte Anliegen, das den Film trägt, – die Sensibilisierung eines großen Publikums für die Bedürfnisse einer behinderten Minderheit – ein paar Kleckse abbekam. Im Kleinen spiegelt sich das in dem Bärendienst, den die Produktion dem hehren Ziel erwiesen hat, indem sie die Informationen über Autismus im Abspann durch von der Leinwand glotzende Riesen-Gendersterne unleserlich gemacht hat. 

Fadenscheiniger Zweckoptimismus als massentaugliche Botschaft

Florian David Fitz, der während der Covid-Krise Kritik an der Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen geübt hat, scheint sich in der Rolle des Volkspädagogen und Vollzugsbeamten einer staatlich gewollten und filmisch realisierten Betroffenheitsästhetik äußerst wohlzufühlen. Schon in der Regenbogen-Dramödie „Oskars Kleid“, die voriges Jahr zu Weihnachten in die Kinos kam, spielte er den Vater eines Problemkindes – dort war es ein Transgender-Junge –, der am Ende eines geistig-moralischen Läuterungsprozesses gestärkt aus dem Leinwanderleben hervorgeht und so als Volksvorbild dienen kann.

Auch dort wurde die kindliche Hauptfigur, Oskar, übrigens nicht als Systemsprenger gezeichnet, also als soziopathische Dauerbelastung, sondern verklärt zum Träger tieferer Erkenntnisse, die den schlichter gestrickten Normalos mangels besonderer Erleuchtung unzugänglich sind. Mit dieser Idolisierung einer in der Regel höchst problematischen Störung werden Oskar und Jason zu Wegbereitern eines neuen Zeitalters, in dem die alten Paradigmen nicht mehr gelten. Wer selbst ein Kind wie Jason oder Oskar zu Hause hat, wird sich da kaum wiederfinden. Ein fadenscheiniger Zweckoptimismus steht dann auch am Ende des Films: eine idealistische „Alles nicht so schlimm, wenn alle sich Mühe geben“-Botschaft, die zwar massentauglich und ermutigend, aber im Hinblick auf die schweren Fälle von Autismus nicht mehr als ein Rufen im Walde ist.

Wie allen Fußballfans geht es auch den „Wochenendrebellen“ vor allem darum, das Joch des Alltags durch den Faktor Spaß mal kurz zu lockern. Das immerhin gelingt dem Film prima.

Kinostart ist am 28. September 2023

 www.wochenendrebellen-film.de