Das erste Übernahmeangebots durch den arabischen Ölkonzern Adnoc hat der Vorstand des deutschen Kunststoffherstellers Covestro im Juni noch abgelehnt. Doch die Scheichs lassen nicht locker. Elf Milliarden Euro waren den drei Leverkusener Chefs – Markus Steilemann, Thorsten Dreier und ihrer indisch-englischen Kollegin Sucheta Govil – zu wenig. Das Staatsunternehmen aus Abu Dhabi unter Industrieminister Sultan Ahmed Al Jaber erklärte daraufhin, die Offerte für den Dax-Konzern von 57 auf 60 Euro pro Aktie zu erhöhen – das wären 11,5 Milliarden Euro.
Auch das war dem Vorstand, von eingestiegenen aktivistischen Hedgefonds unter Druck gesetzt, eigentlich noch nicht genug. Doch inzwischen laufen ernsthafte Übernahmegespräche, und 63 Euro pro Aktie wurden vorige Woche nicht mehr ausgeschlossen. Beide Seiten scheinen sich langsam aufeinander zuzubewegen. Das verdeutlicht eine interessante Personalie. Adnocs Investitionsmanager ist der Deutsche Klaus Fröhlich, der für die von Adnoc herangezogene US-Investmentbank Morgan Stanley mehr als 16 Jahre lang arbeitete, zuletzt als Leiter des Kapitalmarktgeschäfts für Deutschland und Österreich. In dieser Funktion begleitete er zusammen mit der Deutschen Bank den 2015 erfolgten Covestro-Börsengang. Man kennt sich also.
Was wird aus 7.800 Mitarbeitern in den sechs deutschen Werken?
Adnoc bietet sich dem früher zu Bayer gehörenden Unternehmen als „verläßlicher Partner“ für die Finanzierung von Investitionen und für die Lieferung von „grünem“ Wasserstoff als Energieträger an. Bei der Übernahme soll Covestro zudem Eigenständigkeit zugesichert worden sein. Das erfreut den Vorstand, die deutsche Belegschaft ist weniger begeistert von der Übernahme durch die Herren vom Persischen Golf. Covestro stellt Polyurethane her, wie sie in Autositzen und Möbeln zum Einsatz kommen, und Polycarbonate, die als transparenter Kunststoff von Autoscheinwerfern bekannt sind, zudem Kunstharze und Elstomerfolien.
An weltweit 50 Standorten – Europa, Indien, Ostasien, Australien und USA – werden über 18.000 Mitarbeiter beschäftigt. In Deutschland gibt es 7.800 Beschäftigte in Bomlitz, Brunsbüttel, Dormagen, Meppen, Uerdingen und Leverkusen. Im Geschäftsjahr 2022 betrug der globale Konzernumsatz 18 Milliarden Euro. Covestro war schon öfter im Visier ausländischer Käufer gewesen, was aber nie zu einem „Deal“ führte. Auch deshalb bewerten Branchen-Kenner die Chancen einer Adnoc-Covestro-Fusion als noch nicht ausgemacht. Covestro ist im Kern ein gesundes Unternehmen, doch die heimische Chemieindustrie steckt seit 2022 im konjunkturellen Tief – und angesichts der hohen Energiekosten und der irrwitzigen „Klimaziele“ ist Deutschland kein Topstandort mehr.
Schon zu Bayer-Zeiten hatte das Kunststoffgeschäft Interesse aus Nahost erregt. Für die bisherigen Aktionäre scheint die Offerte aus den Vereinigten Arabischen Emiraten durchaus interessant zu sein. Covestro müsse die Übernahmepläne Adnocs ernst nehmen und in formelle Gespräche einsteigen, sagte Arne Rautenberg, Fondsmanager des Frankfurter Covestro-Anteilseigners Union Investment. Dies müsse bald geschehen, um Spekulationen und Unsicherheiten an den Märkten die Nahrung zu nehmen. Es müsse einen konstruktiven Dialog mit Blick auf Preis, Standorte und Arbeitsplätze geben.
Sultan Ahmed Al Jaber hat bereits vor einiger Zeit versprochen, Adnoc wolle künftig verstärkt in neue Energien wie Ammoniak und Wasserstoff sowie Flüssigerdgas (LNG) und Chemikalien investieren. Das klingt paßgenau für „grüne“ deutsche Manager und philanthropisch engagierte Investoren. Aber in Wahrheit lebt Adnoc von der Ausbeutung „fossiler“ Erdöl- und Gasvorkommen sowie der Erzeugung von Raffinerieprodukten. Durch Covestro kommen weitere Produkte hinzu, die in E-Autos, bei der Wärmedämmung sowie Beschichtungen, Klebstoffen und technischen Kunststoffen verwendet werden. Adnoc versichert, man strebe keinen Austausch des Managements an. Zudem seien keine Zusammenschlüsse mit bestehenden oder neuen Adnoc-Beteiligungen in der Chemieindustrie geplant. Vom Erhalt der sechs deutschen Werke ist nur am Rande die Rede.