Still und heimlich wurde eine Meldung von gewaltiger Tragweite im Blätterwald begraben. Der Kontrollverlust an der deutschen Grenze seit 2015, die „Herrschaft des Unrechts“, wie es der CSU-Innenminister Horst Seehofer damals nannte, bescherte uns zwar eine ungeheure Armutseinwanderung, deren soziale Folgen die Gesellschaft bis heute schwer belasten. Doch was wie ein Versehen, wie ein Ausrutscher, eine Ausnahmesituation ohne Beispiel verkauft wurde, ist längst zum Regelfall geworden.
Das neue Rekordjahr der Masseneinwanderung heißt 2022. Kamen 2015 nur eine Million Menschen, so wird diese Zahl bereits fast von der Gruppe der Ukrainer allein erreicht. Obendrauf noch die üblichen Gruppen aus Afrika und der islamischen Welt von etwa einer halben Million. Seit 2012 kamen insgesamt sogar über acht Millionen – also innerhalb von Jahren zehn Prozent – neue Einwohner hinzu. Im Gepäck horrende Folgekosten für den deutschen Sozialstaat. Ein Blick nach Lampedusa zeigt, der Zustrom reißt nicht ab. Aber wie gehen Wirtschaftsvertreter damit um, denen sonst nicht genug billige Arbeitskräfte einwandern können?
Alle öffentlichen Haushalte werden per Saldo stark belastet
Dieter Zetsche phantasierte 2015 von einem „neuen deutschen Wirtschaftswunder“, denn „genau solche Menschen suchen wir bei Mercedes und überall in unserem Land“, so der damalige Stuttgarter Konzernchef. Doch mittlerweile hat jeder zweite Transferempfänger keinen deutschen Paß. Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW-Report 42/23) analysierte nun die „Rekordzuwanderung nicht nur aufgrund der Flucht aus der Ukraine“. Dabei rückt IW-Ökonom Wido Geis-Thöne vom Axiom ab, Einwanderung sei von vornherein positiv für Deutschland: „Eine Folge der starken Zuwanderung der letzten Jahre ist, daß viele politische Planungsprozesse sehr schwierig geworden sind.“
Beispielsweise sei durch die demographische Schrumpfung eigentlich zu erwarten gewesen, daß diese „den Bedarf an Wohnungen langsam reduziert hätte“. Die Bevölkerung sei jedoch „noch gewachsen und braucht entsprechend auch mehr Wohnraum und Infrastrukturleistungen“. Mit anderen Worten: die dramatische Wohnungsnot ist mittlerweile auch für das IW eine Folge der Masseneinwanderung. Um gleich zu versichern, daß „auch die neuen EU-Mitgliedsländer vom demographischen Wandel betroffen sind“.
Und was heißt das? Daß deutsche Rentner oder Pflegebedürftige ins billigere östliche Ausland ausweichen können? An dieser und ähnlichen Stellen wäre mehr Präzision bei der Problembeschreibung hilfreich. Denn daß soziale Kosten entstehen, deutet auch Geis-Thöne an. So liege bei der Gruppe der Syrer die Beschäftigungsquote mit 35,5 Prozent zwar etwas höher als bei anderen muslimischen Herkunftsländern, „allerdings ist auch dies noch ein Niveau, bei dem die öffentlichen Haushalte in Deutschland per Saldo stark belastet werden“.
Wenn dann Geis-Thöne angesichts der Geburtenrate in Syrien „von einer längerfristigen Zuwanderungsbewegung auf hohem Niveau“ ausgeht und einräumt, daß „der Beitrag der aus den Asylherkunftsländern zugewanderten Personen zur Fachkräftesicherung als klein einzustufen“ sei, klingt das nach Katastrophe: „Obwohl Deutschland auf Fachkräfte aus dem Ausland dringend angewiesen ist, um Wachstum und Wohlstand zu sichern, sind also nicht alle Formen der Zuwanderung aus ökonomischer Sicht auch vorteilhaft.“
Es wird also nichts mit Zetsches Wirtschaftswunder? Und nicht jeder Einwanderer ist eine Bereicherung für Deutschland? Was jeder weiß, der die Warteschlangen vor den Erstaufnahmeeinrichtungen gesehen hat – nun dämmert das auch dem arbeitgeberfinanzierten IW: „Der Umgang mit den Geflüchteten ist aus migrationspolitischer Sicht ein sehr heikles Thema, so daß sich nur sehr schwer voraussehen läßt, welche Entwicklungen hier zu erwarten sind“.
Sprich: Kann sein, daß alles so weiterläuft wie bisher. Aber für den Fall, daß eine andere Politik einkehrt, hat das IW schon vor den Folgen gewarnt. Bis dahin bleibt alles beim alten: Europa schrumpfe insgesamt, weshalb es der deutschen Wirtschaft nicht als längerfristiges Fachkräftereservoir dienen könne. „Daher muß eine gezielte Strategie zur Sicherung der Fachkräftebasis durch Zuwanderung ihren Schwerpunkt auch auf demographiestarke Staaten aus dem außereuropäischen Bereich haben.“
Die östlichen Bundesländer liegen bei der Zuwanderung zurück
Tatsächlich. Einerseits heißt es im IW-Report: „Im Jahr 2022 sind so viele Menschen nach Deutschland zugewandert wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik.“ Andererseits seien nicht genug Menschen eingewandert. Jedenfalls von denen, die die Wirtschaft auch gebrauchen kann. Was zu der Frage führt, warum Fachkräfte in ein Land einwandern sollten, wo sie die weltweit höchsten Abgaben und Stromkosten zahlen und sich Schulen und Städte mit Armutseinwanderern teilen müssen. Doch wo bringen wir sie dann unter?
Eine Idee hat der IW-Kurzbericht (59/23) über die „Fachkräftelücke und Großinvestitionen“: in der Ex-DDR. „Die Verteilung der unbefristeten Aufenthaltstitel und die Ost-West-Wanderung zeigen, daß die ostdeutschen Bundesländer zurückliegen“, heißt es hier. „Deutschland muß insgesamt, und die ostdeutschen Bundesländer müssen im speziellen attraktiver für Einwanderer werden.“
Das Problem sei hier aber eine Partei, die in „Dunkeldeutschland“ (Bundespräsident Joachim Gauck 2015) in Umfragen mit über 30 Prozent zur stärksten Partei aufgestiegen ist: „Auch führende Unternehmensvertreter warnen vor einer erstarkenden AfD, die zum Standortrisiko werden könnte, weil sie Zuzügler aus dem Ausland abschreckt und die Integration erschwert.“ Warum ausgerechnet die AfD die Integration erschwert, bleibt ein Rätsel. Ebenso die Frage, wie das IW mit diesen und ähnlichen Studien die AfD schwächen will. Bisher geschieht das genaue das Gegenteil.
„Rekordzuwanderung nicht nur aufgrund der Flucht aus der Ukraine“ (IW-Report 42/23):