Der Skandal um mögliche Korruption bei der Visumvergabe in polnischen Konsulaten hat sein erstes prominentes Opfer gefordert. Der polnische Außenminister Zbigniew Rau entließ den Leiter des juristischen Dienstes seines Ministeriums und ordnete eine Überprüfung der Konsularabteilung des Außenministeriums im Ausland an. Als offiziellen Grund gab Rau „vermutete Unregelmäßigkeiten bei der Erteilung von Arbeitsvisa an Ausländer“ in einer Mitteilung an. Auch Verträge mit externen Dienstleistern, die im Zusammenhang mit dem Vergabeprozeß stehen, habe man gekündigt.
Medienberichten zufolge hatten zuvor Migranten durch hohe Geldzahlungen an Vermittlungsfirmen privilegierten Zugang zu Visa für den Schengenraum erhalten. Kritiker bezeichneten das Vorgehen als „Bargeld-für -Visa -System“. Ein im Rahmen der Ermittlungen verhafteter Mitarbeiter, Edgar K., soll Aussagen polnischer Medien zufolge ein Mitarbeiter des Kulturministers Piotr Gliński sein.
Die Aufklärung des Skandals hängt auch zusammen mit einer umstrittenen Entscheidung der polnischen Regierung, die Regeln für die Erteilung von Arbeitsvisa an Bürger aus als gefährlich geltenden Ländern in Asien und Afrika deutlich zu lockern. Medienberichten zufolge reisten so in den Jahren 2021 bis 2023 etwa 250.000 Menschen nach Polen ein, für die Visa von Vermittlungsfirmen ausgestellt und Sicherheits- und Kontrollverfahren drastisch mißachtet wurden. Im Internet kursieren Aussagen von Migranten, die in teils drastischen Worten die Umstände der Beantragung wiedergeben. Einige berichten, ihre Eltern hätten „ihr Land verkauft und sich Geld von Freunden und Verwandten geliehen“, um das Visum für ihre Kinder zu kaufen.
Von einer „massenhaften Verteilung“ von Visa an möglicherweise unberechtigte Empfänger will man in Warschau dennoch nichts wissen. In einem Statement vom Folgetag wies das Außenministerium auf Regierungsstatistiken hin, die die angebliche massenhafte Ausstellung von Visa an Ausländer widerlegen sollen. Den offiziellen Daten zufolge wurde die überwiegende Mehrheit der Dokumente, die Ausländern in den letzten 2,5 Jahren den Aufenthalt in der Schengenzone ermöglichten, an Bürger aus Weißrußland und der Ukraine ausgestellt.
Aus Sicht der polnischen Regierung handle es sich dabei zweifellos um berechtigte Antragsteller, die vor „Verfolgungen durch das Minsker Regime bzw. vor der russischen Aggression flohen“. Ohnehin sei Polen nicht der Spitzenreiter der Visavergabe für den Schengenraum. Tatsächlich sind Frankreich, Spanien und die Bundesrepublik in der Visavergabe deutlich vor Polen.
Anders sehen das Vertreter der polnischen Opposition. Oppositionsführer Donald Tusk bezeichnete das sogenannte „Bargeld-für-Visa-System“ als „wahrscheinlich größten Skandal in Polen im 21. Jahrhundert“. Der Visa-Skandal kommt für die Regierungspartei PiS zur Unzeit, in den Umfragen liegt die Partei nur noch bei 38 Prozent –Tendenz weiter fallend. Einige Prozent dahinter auf etwa 30 Prozent hält sich die Bürgerplattform von Tusk und mit großem Abstand die rechte Konfederacja mit elf Prozent.
Mit ein Grund für die ungewohnte Schwäche der PiS-Regierung ist die Unzufriedenheit der Polen mit der eigenen Grenzsicherung. Mehr als die Hälfte der befragten Polen glaubt nicht, daß Polens Grenzen ausreichend gegen unkontrollierte Migration gesichert sind, so eine Umfrage nach dem Bekanntwerden des Skandals.