In Berlin raufen sich die Bundesspitzen von CDU und FDP mal wieder die Haare. Immer Ärger mit ihren Sorgenkindern, den thüringischen Landesverbänden. Die Existenz der dunkelrot-rot-grünen Minderheitsregierung in Erfurt sowie die Stärke der AfD im Landtag erschweren der CDU und FDP die Oppositionsarbeit, da ihnen Berlin jegliche Kontakte („Brandmauer“) mit der rechtskonservativen Fraktion strikt verbietet.
Dementsprechend laut war der mediale Aufschrei, als der CDU-Antrag, die beim Hauskauf fällige Grunderwerbssteuer von 6,5 auf 5 Prozent zu senken, mit den Stimmen von FDP und AfD beschlossen wurde. Damit fehlen im Landeshaushalt etwa 48 Millionen Euro jährlich. Ein Paukenschlag und ein gefundenes Fressen für Linke, SPD und Grüne. Für Ministerpräsident Bodo Ramelow ein „Pakt mit dem Teufel“. Dabei hatte der Linken-Politiker seine parlamentarische Mehrheit 2017 mit Hilfe eines AfD-Überläufers gesichert. Schon vergessen? Jedenfalls sah dessen Parteichefin Janine Wissler die Konservativen als „Steigbügelhalter des Faschismus“. Von einem „politischen Tabubruch“ und „historischen Versagen der CDU“, sprach SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Katja Mast. Nachdenklich ließ sich immerhin Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz ein. „Das Verhalten der CDU in Thüringen ist selbstzerstörerisch“. Erwartbare Empörungsrituale, die aber schnell abgehakt, vom Mega-Thema Migration verdrängt wurden.
Schwerer tat sich die CDU. Alle Blicke richteten sich auf Parteichef Friedrich Merz. „Wir machen das, was wir in den Landtagen wie auch im Bundestag diskutieren, nicht von anderen Fraktionen abhängig“. Aus der Deckung wagte sich Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther vom linken Parteiflügel. „Ein wie auch immer geartetes Zusammenwirken mit der AfD ist ausgeschlossen“, sagte er. „Das gilt auch für eigene Initiativen, die absehbar nur mit Hilfe dieser Partei Aussicht auf Erfolg haben“. Wenig später stellte Merz seinen „Parteifreund“ ins Abseits. Günthers Äußerungen seien eine „Einzelmeinung in der CDU“. Es gebe niemanden sonst, „der das teilt“.
Das hatte gesessen, war aber sachlich falsch. Merz’ Dauerkritiker, der einst gescheiterte Generalsekretär Ruprecht Polenz, nennt die AfD „faschistisch“, deshalb habe sich die CDU in Thüringen falsch verhalten. Kai Whittaker, CDU-Bundestagsabgeordneter, entdeckte einen Verstoß gegen den Unvereinbarkeitsbeschluß von 2018, der jegliche Zusammenarbeit mit AfD und Linken ausschließt. Zu Wochenbeginn bemühte sich CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann darum, die Wogen zu glätten. Im Präsidium und Vorstand habe es „viel Zustimmung“ für die Thüringer Parteifreunde gegeben, teilte er nach der Sitzung bewußt nebulös mit. Fraktionschef Mario Voigt habe glaubhaft versichert, es habe keine Absprache mit der AfD gegeben. Im übrigen bemühte Linnemann den Bundeskanzler. Olaf Scholz (SPD) antwortete im August auf die Frage, was passieren sollte, wenn man die Stimmen der AfD für eine Mehrheit braucht. „Das ist doch keine Zusammenarbeit“.
Danach war es auch keine Zusammenarbeit, als die Minderheitskoalition bei der Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Postenaffäre“ auf die Stimmen der AfD setzte; zu Lasten der CDU. „Wir stehen mit voller Freude zur Aufklärung bereit“, feixte der AfD-Parlamentarier Stefan Möller im April. Und die FDP? „Kein gutes Signal“, befand Parteichef Christian Lindner schmallippig, die Verantwortung trage aber die CDU. Er hatte kürzlich für Aufsehen gesorgt mit der Bemerkung, niemand müsse aus sozialpolitischen Gründen AfD wählen. „Es tut mir in der Seele weh, es zu sagen, aber im Notfall könnte man noch die Linkspartei wählen“. Das sei keine Wahlempfehlung relativierte er später.
„Brandmauer ist Geschichte und Thüringen erst der Anfang“
Auf eine Wahlempfehlung Lindners müssen dessen Parteifreunde im Freistaat verzichten, da ihnen der Bundesverband per Beschluß jegliche Finanzierung des Wahlkampfes für die Wahl im Herbst 2024 gestrichen hat. Eine Entscheidung der Landesschatzmeister, die kurz vor der Abstimmung im Landtag gefallen ist, FDP-Landeschef Thomas Kemmerich aber nicht sonderlich aufregt. Auf dem Kurznachrichtendienst X rief er mit dem Halbsatz „Wer es anders sieht …“ zu Spenden auf und fügte seinem Post die Bankverbindung der Landespartei hinzu. Jetzt könne er „das Konzept eines Wahlkampfes aus Thüringen mit Thüringer Partnern“ zu hundert Prozent umsetzen. „Wir wissen auch viele Parteifreunde und Partner aus der ganzen Bundesrepublik an unserer Seite und freuen uns jetzt auf ein spannendes Jahr“. Kemmerich ist in der Berliner Parteizentrale in Ungnade gefallen, da er sich Anfang 2020 mit den Stimmen von AfD und CDU zum Ministerpräsidenten hatte wählen lassen. Nach massivem Druck, auch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), sowie linksextremen Übergriffen gab Kemmerich sein Amt nach wenigen Tagen auf, der Linke Ramelow zog erneut in die Erfurter Staatskanzlei ein. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer zog damals aus der Parteizentrale aus, da sie mit den Turbulenzen im thüringischen Landesverband nicht fertiggeworden war.
Und die AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als erwiesen rechtsextrem eingestuft wird? „Merz’ Brandmauer ist Geschichte – und Thüringen erst der Anfang“, frohlockte Co-Parteichefin Alice Weidel.