© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 39/23 / 22. September 2023

Levve un levve losse
„Marsch für das Leben“: Bei der Premiere in Köln blockieren linke Gegendemonstranten die Route der Abtreibungsgegner
Hermann Rössler

Vergangenen Samstag, kurz nach Mittag am Kölner Heumarkt: Vor dem Reiterdenkmal König Friedrich Wilhelms III. sammelt sich nach und nach buntes Volk vor einer Bühne. Gelbe, grüne, rote Luftballons schwirren durch die Luft. Einige Leute dort verteilen fleißig Broschüren, Flyer, Sticker und auf Holz aufgesteckte Transparente. Musik tönt aus Lautsprechern: „Einfach levve un levve losse“, von der kölschen Band „Höhner“. Aber das ist kein Karneval, was hier stattfindet. Es ist der erste „Marsch für das Leben“ in der Domstadt. Organisiert vom Bundesverband Lebensrecht, der zur selben Zeit und für dasselbe Anliegen auch wieder nach Berlin eingeladen hat. In der Hauptstadt wird zum 19. Mal für das Recht auf Leben ungeborener Kinder demonstriert, in Köln ist es Premiere.

Wer meint, es gehe daher rheinisch-gelassen und katholisch zu, der irrt. Die Demonstration für das ungeborene Leben ruft auch hier starken Gegenprotest hervor. Dazu aufgerufen hat das Bündnis „Pro Choice Köln – für selbstbestimmtes Leben“, unterstützt unter anderem von Pro Familia, den Grünen und den Jusos. Die mobilisierten nach eigenen Angaben rund 3.000 Teilnehmer; am Marsch für das Leben beteiligten sich laut Angaben der Polizei etwa 1.500 Personen.

„Für das Leben immer, für das Töten nimmer“

Schon im Vorfeld hatte sich der städtische CDU-Verband dafür verteidigen müssen, den Marsch auf seiner Internetseite verlinkt zu haben. Die Bündnispartner der CDU im Kölner Stadtrat, die Grünen und die Partei Volt, riefen zur Teilnahme an den Gegenprotesten auf. Der Vorsitzende der Jusos in Köln, Sercan Karaagac, sprach von einer „häßlichen Fratze der politischen Rechten in unserem Land“, die sich an der Werbung für den Marsch zeige. Die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker kritisierte die Demonstration gegen Abtreibungen und schrieb auf X (vormals Twitter): „Ich finde es gut, daß sich viele Kölner dem entgegenstellen.“ Zuspruch erhielten die Marsch-Teilnehmer von der Deutschen Bischofskonferenz.

Ungeachtet des Gegenwinds ist die Stimmung unter den Lebensschützern ausgelassen. Die Moderatorin Martine Hoppermann leitet mit der Parole „Kölle alive“ ein. Nacheinander sprechen die Bundesvorsitzende der Christdemokraten für das Leben, Susanne Wenzel, der Vorsitzende der Ärzte für das Leben, Paul Cullen, und Sandra Sinder von einer Schwangerenberatung. Wenzel spricht mit Blick auf die von der Ampelkoalition einberufene Expertenkommission, die eine Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafrechts prüft, von der ersten Regierung, „die aktiv gegen das Leben vorgeht“. Es gebe aber „kein Menschenrecht auf Abtreibung, auf Sex ohne Konsequenzen, aber ein Recht auf Leben“. Cullen betont, das Verhältnis vom Arzt zum Patienten sei auf das Leben ausgerichtet, nicht auf den Tod und prägt die Losung: „Für das Leben immer, für das Töten nimmer.“ Sinder erzählt von Erfahrungen mit schwangeren Frauen, die allein gelassen würden. Sie appelliert für „angstfreie Räume“ und eine innergesellschaftliche Solidarität mit schwangeren Frauen in Not.

Bereits auf dem Heumarkt stehen Abtreibungsgegner und -befürworter dicht an dicht. Die Polizei, die mit mehreren Hundertschaften aus Köln, Duisburg, Aachen und Hamburg angetreten ist, bildet eine Traube um die Lebensschützer. Auf der anderen Seite geben dunkel gekleidete Linksradikale, Jusos und Grüne ein Trillerpfeifenkonzert, halten „Pro Choice“-Plakate in die Höhe und rufen die üblichen Parolen: „Ob Kinder oder keine, entscheide ich alleine.“ Hin und wieder gibt es Kabbeleien mit der Polizei. Als der Marsch sich in Bewegung setzen möchte, ist das zunächst nicht möglich, da die Gegendemonstranten die Route blockieren. Wenig später ermöglichen die Beamten eine Alternativroute, die jedoch auf der anderen Seite des Heumarkts schon wieder endet. Eingekesselt von den Gegendemonstranten bleibt der Zug stehen. Einige „Pro Life“-Jugendliche tanzen zu Pop-Musik aus den Lautsprecherboxen, andere erfrischen sich mit Kölsch und wieder andere liefern sich ein verbales Gefecht mittels Rosenkranzgebet gegen die „Haut ab“-Rufe der Linken. Ein Priester erteilt knieenden Gläubigen den Segen. Der 20jährige Sinologie-Student Christophe König erklärt der JUNGEN FREIHEIT, er sei hier, weil Hunderttausende Ungeborene unschuldig im Mutterleib sterben müßten. „Dieser möchte ich gedenken.“

Nach etwa drei Stunden Verharren geht der Zug zurück zum Heumarkt, wo die Polizei ihre Mühe hat, die Gegendemonstranten vom Platz zu vertreiben. In der Zwischenzeit haben diese die Stände von „Sundays for Life“ verwüstet. Moderatorin Hoppermann resümiert auf der Bühne schließlich, die Veranstaltungspremiere in Köln sei trotz Komplikationen gelungen und kündigt an: „Nächstes Jahr sehen wir uns wieder!“ Die Polizei zählt sieben Strafanzeigen, unter anderem wegen Körperverletzung, Widerstand und Diebstahl auf seiten der Gegendemonstranten. Eine Person sei in Gewahrsam gekommen.

Eine ausführliche Reportage über den Berliner „Marsch für das Leben“ mit seinen rund 2.000 Teilnehmern lesen Sie auf  www.jungefreiheit.de