Wissenschaftler haben ein Gebilde gezüchtet, das einem frühen menschlichen Embryo sehr ähnlich ist – allerdings ohne dabei auf Sperma, Eizellen oder eine Gebärmutter zurückzugreifen. Stattdessen manipulierten sie Stammzellen derart, daß diese Form und Funktionen des Embryos und seiner Umgebung nachahmten.
Das Team des Weizmann-Instituts in Rechovot einem Vorort von Tel-Aviv, sagt, daß ihr „Embryomodell“, wie ein Lehrbuchbeispiel für einen echten 14 Tage alten Embryo aussieht. Es setzt Hormone frei, die einen Schwangerschaftstest im Labor positiv ausfallen ließen. Als Ziel ihrer Forschung beschreiben die Israelis, einen „ethischen Weg“ zum Verständnis der frühesten Momente menschlichen Lebens zu finden.
Bisher gilt Tag 14 in vielen Ländern als maximale Zeit, bis zu der ein menschlicher Embryo zu Forschungszwecken am Leben erhalten werden darf. Hier beginnen sich Gehirn und andere Organe zu unterscheiden. Großbritannien und Australien etwa schreiben das gesetzlich vor. In Deutschland ist die Forschung an menschlichen Embryonen verboten. Embryo im Sinne des Gesetzes ist aber „bereits die befruchtete, entwicklungsfähige Eizelle“. Der Weg, den die israelischen Forscher gewählt haben, könnte nun in einigen Rechtssystemen Schlupflöcher zur weiteren Erforschung bieten.
Die Erforschung der kritischen ersten Wochen nach Zeugung und Einnistung könnte vielen Paaren den Wunsch zum Kind eröffnen. Die früheste Zeit nach der Befruchtung einer Eizelle durch ein Spermium ist durch dramatische Veränderungen geprägt – von einer Ansammlung undeutlicher Zellen zu etwas, das schließlich auf einem Ultraschall-Scan erkennbar wird. In dieser Phase liegen auch die Hauptursachen für Fehlgeburten und Geburtsfehler. Sie wird aber bisher kaum verstanden.
„Das Drama liegt im ersten Monat, die restlichen acht Monate der Schwangerschaft bestehen hauptsächlich aus Wachstum. Es ist eine Blackbox, und das ist kein Klischee – unser Wissen ist sehr begrenzt“, erklärt der Forschungsleiter Jacob Hanna. Die Embryonenforschung ist rechtlich, ethisch und technisch heikel. Aber seit diesem großen Schritt gibt es ein Feld, das die natürliche Embryonalentwicklung nachahmt, wenngleich die erzeugten Embryonen für einige Forscher keine Menschen sind.
Die in der Fachzeitschrift Nature veröffentlichte Arbeit wird von dem israelischen Team als das erste „vollständige Embryomodell“ bezeichnet, das alle wichtigen Strukturen, die sich im frühen Embryo entwickeln, nachahmt.
Embryomodelle sollen Entstehung der Zelltypen zeigen
Anstelle von Spermien und Eizellen wurden als Ausgangsmaterial naive Stammzellen verwendet, die so umprogrammiert wurden, daß sie das Potential haben, sich zu jeder Art von Gewebe im Körper zu entwickeln. Ob Knochen, Muskeln, Nervenzellen, Darm oder Haut. Egal. Einige wurden aus adulten Hautzellen gewonnen, die in den „Stammzustand“ zurückversetzt worden waren. Andere waren die Nachkommen menschlicher Stammzellinien, die jahrelang im Labor gezüchtet worden waren. Diese Stammzellen wandeln sich unter den richtigen Bedingungen in vier Zelltypen, die in den frühesten Stadien aller Embryonen vorkommen: Epiblastzellen, aus denen sich der eigentliche Embryo entwickelt. Trophoblastzellen, aus denen der Mutterkuchen (die Plazenta) entsteht. Hypoblastzellen, aus denen sich der Dottersack bildet, welcher eine Zeitlang die Blutproduktion übernimmt. Sowie extraembryonale Mesodermzellen, die sich nochmals um den Dottersack legen.
Insgesamt 120 dieser Alleskönner-Zellen wurden in einem präzisen Verhältnis gemischt. Dann müssen die Wissenschaftler eigentlich nur noch zurücktreten. „Das ist ein erstaunliches Phänomen“, sagt Hanna. In einem Prozent der Mischungsversuche begannen die Zellen, sich zu einer Struktur zusammenzufügen, die einem menschlichen Embryo ähnelt, aber laut den Forschern nicht mit ihm identisch sei. Andere Forschungsansätze hatten bisher weniger erfolgreich versucht, „Embryomodelle“ aus genetisch modifizierten Stammzellen herzustellen.
Die Israelis ließen das Embryomodell in der Petrischale wachsen, bis es sich derart ausdifferenziert hatte, wie menschliche Embryonen dies am 14. Tag nach der Zeugung tun. Laut den Forschern entstehen der Trophoblast, aus dem normalerweise die Plazenta hervorgeht, genauso wie die Hohlräume (Lacuna), die sich mit dem Blut der Mutter füllen, um das Baby mit Nährstoffen zu versorgen. Es gibt einen Dottersack, der einige Funktionen der Leber und der Nieren übernimmt, und eine zweiseitige Embryonalscheibe – ein wichtiges Merkmal der Embryonalentwicklung. Der Experte für Stammzellen von der britischen University of Reading Darius Widera erklärte, anders als bei früheren Versuchen wiesen die nun entwickelten Strukturen „die meisten Zelltypen, die in sich entwickelnden Embryonen zu finden sind“, auf.
Die Wissenschaftler hoffen mit den Embryomodellen die Entstehung verschiedener Zelltypen besser erklären zu können. Auf diese Weise könne man die frühesten Schritte beim Aufbau der Körperorgane einfacher beobachten und die frühe Entwicklung von Erbkrankheiten nachvollziehen.
Die Studie belegt, daß sich andere Teile des Embryos nur dann bilden können, wenn die Zellen der Plazenta sie umgeben. Nur wenn das Verhältnis der Zellen und die richtigen Botenstoffe in der Umgebung vorliegen, starten die Stammzellen ihre Zusammenlagerung. Es ist sogar die Rede davon, die Erfolgsquoten bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) zu verbessern, indem man herausfindet, warum manche Embryonen scheitern, oder indem man die Modelle verwendet, um zu testen, ob Medikamente während der Schwangerschaft sicher sind.
In 99 Prozent der Fälle lagern sich die Zellen noch nicht zu einem Embryomodell zusammen. Diese hohe Ausfallquote wollen die Forscher nun angehen. Erst wenn die Methode sicher und leicht reproduziert werden kann, läßt sich damit zeigen, was bei einer Fehlgeburt oder Unfruchtbarkeit falsch läuft.
Rechtliche und ethische Fragen bleiben in einem Graubereich
Natürlich steht nun auch in Frage, was mit einem derartigen Embryomodell geschehen würde, wenn man ihm Raum und Nährstoffe böte, um sich weiterzuentwickeln. Eine Frage, der Forscher etwa im Vereinigten Königreich nachgehen könnten, da Embryomodelle dort rechtlich nicht mit Embryonen gleichgesetzt werden. Je näher diese Modelle an einen echten Embryo herankommen, desto mehr ethische und rechtliche Fragen werden sie aufwerfen.
„Sollte man sie also genauso regulieren wie einen normalen menschlichen Embryo, oder kann man bei ihrer Behandlung etwas entspannter sein?“ fragt Professor Alfonso Martinez Arias von der Abteilung für experimentelle Wissenschaften und Gesundheitswissenschaften der Universität Pompeu Fabra in Barcelona. Die Forschung ermögliche es, Vorgänge zu untersuchen, die zur Bildung des menschlichen Körperbaus führen, sagte er. Die Forscher um den Israeli Hanna betonen dabei, daß es unethisch, illegal und „eigentlich unmöglich“ wäre, mit diesen „Embryomodelle“ eine Schwangerschaft herbeizuführen. Dabei geht der Zusammenbau der 120 Zellen eigentlich über den Punkt hinaus, an dem sich ein Embryo erfolgreich in die Gebärmutterschleimhaut einnistet. Das geschieht üblicherweise bereits an Tag sieben nach der Zeugung.
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