© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Es war jedes Mittel recht
Vor 75 Jahren tötete ein israelisches Mordkommando den schwedischen UN-Ver-mittler Folke Graf Bernadotte
Thomas Schäfer

Am 17. September 1948 errichteten vier Männer in Militäruniformen am Ben Zion Guini Square im Jerusalemer Stadtteil Katamon einen Kontrollposten. Allerdings handelte es sich hierbei nicht um Angehörige der Streitkräfte des neu gegründeten Staates Israel, sondern um die Mitglieder der jüdischen Terrorgruppe Lochamei Cherut Jisrael (Lechi) Yehoshua Cohen, Yitzhak Ben-Moshe, Avraham Steinberg und Meshulam Makover. Diese hatten von ihren Anführern Icchak Jaziernicki alias Jitzchak Schamir, später Premierminister Israels, Nathan Yellin-Mor alias Nathan Friedman und Israel Scheib alias Israel Eldad den Auftrag erhalten, dem aus Schweden stammenden Vermittler der Vereinten Nationen in Palästina und früheren Vorsitzenden der Ständigen Kommission der Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung Folke Bernadotte Graf von Wisborg aufzulauern und ihn zu liquidieren.

Der Grund hierfür waren Bernadottes Vorschläge vom 28. Juni und 16. September 1948 zur Beendigung des bewaffneten arabisch-israelischen Konfliktes infolge der Bekanntgabe des UN-Teilungsplanes für Palästina vom 29. November 1947 und der israelischen Unabhängigkeitserklärung vom 14. Mai 1948. Denn der UN-Vermittler, dessen weltweite Reputation nicht zuletzt daraus herrührte, daß er im Frühjahr 1945 als Vizepräsident des Schwedischen Roten Kreuzes in persönlichen Verhandlungen mit dem Reichsführer SS, Heinrich Himmler, die Freilassung von 21.000 KZ-Häftlingen erreicht hatte, strebte folgende Lösung an: Die Araber sollten die Existenz des jüdischen Staates auf dem Boden des einstigen britischen Mandatsgebietes Palästina als nunmehr unabänderliche Tatsache hinnehmen, wobei die endgültigen Grenzen Israels und der Status von Jerusalem noch von der Uno festzulegen seien. 

Gleichzeitig müsse es den etwa 750.000 nach Ausbruch des arabisch-israelischen Krieges geflüchteten oder vertriebenen palästinensischen Arabern freistehen, wieder in ihren früheren Siedlungen zu leben und eine angemessene Entschädigung für etwaige Eigentumsverluste zu fordern. Dazu schrieb der Graf an die Uno-Vollversammlung: „Es wäre ein Verstoß gegen die Prinzipien der elementaren Gerechtigkeit, wenn diesen unschuldigen Opfern des Konflikts das Recht verweigert würde, in ihre Heimat zurückzukehren, während jüdische Einwanderer nach Palästina fließen und zumindest die Gefahr einer dauerhaften Ersetzung der arabischen Flüchtlinge droht, die seit Jahrhunderten im Land verwurzelt sind.“

Für die israelischen Verhandlungspartner Bernadottes waren diese Bedingungen allerdings komplett unannehmbar. Dennoch fürchteten radikale Zionisten, daß sich der angebliche „Judenhasser und Araberfreund im Dienste der Briten“ aufgrund seines starken internationalen Rückhaltes am Ende doch durchsetzen könnte, woraus das Mordkomplott der Lechi resultierte, welches auch zum Erfolg führte.

Als die ungeschützte Wagenkolonne mit Bernadotte und dem Kommandeur des französischen Kontingents der UN-Friedensmission zur Überwachung des Waffenstillstands im Nahen Osten (UNTSO), Colonel André Serot, an dem vermeintlichen Kontrollposten anhielt, feuerte Cohen mit seiner Maschinenpistole vom Typ Schmeisser MP 40 durch ein Fenster des Chrysler Sedan, in dem der Graf und Serot saßen, obzwar der Fahrer des Wagens, ein US-Colonel namens Frank Begley, den Schützen unter höchster Lebensgefahr aufzuhalten versuchte. Dabei trafen 18 der Kugeln Serot und sechs Bernadotte. Anschließend flüchteten die Attentäter, während man den UN-Vermittler eiligst in das Hadassah Mount Scopus Hospital brachte, wo er genau wie Serot für tot erklärt wurde.

Mordwaffe lag bis 2018 unbeachtet in israelischer Asservatenkammer

Angesichts der Sachlage unternahmen die israelischen Behörden keine nennenswerten Anstrengungen, um die Mörder der beiden UN-Emissäre zu fassen oder wenigstens zu identifizieren. Daher konnte der Terrorist Cohen später noch bis zum Leibwächter und engsten Vertrauten von Ministerpräsident David Ben-Gurion aufsteigen. Seine Beteiligung an der Tat wurde erst 1977 publik, während die Mordwaffe sogar noch bis zum Februar 2018 vollkommen unbeachtet in einer Asservatenkammer der israelischen Polizei lagerte.

Gleichzeitig stellte das Attentat auf Bernadotte kein singuläres Ereignis dar, denn die israelische beziehungsweise jüdische Seite demonstrierte auch bei anderen Gelegenheiten, daß ihr absolut jedes Mittel recht war, um zum Ziel zu kommen. Erstmals geschah dies am 22. Juli 1946, als acht Mitglieder der Untergrundorganisation Irgun Zwai Leumi, die damals unter der Leitung des späteren israelischen Ministerpräsidenten Menachem Begin alias Mieczysław Biegun stand, einen Sprengstoffanschlag auf das King David Hotel in Jerusalem mit 91 Toten verübten. Das Gebäude diente zu diesem Zeitpunkt als Sitz des Secretariat of the Government of Palestine sowie Hauptquartier der British Armed Forces in Palestine and Transjordan; seine Zerstörung sollte die Mandatsmacht Großbritannien zum Rückzug aus Palästina veranlassen und so die Voraussetzung für die Gründung des Staates Israel schaffen – ein Plan, der letztendlich aufging.

Einige Terrorakte jüdischer Untergrundorganisationen beziehungsweise israelischer Geheimdienste richteten sich dabei auch gegen Deutsche. Besonderes Aufsehen erregten hier vor allem zwei Anschläge: Im April 1946 präparierten Mitglieder der radikalen Gruppierung Dam Yehudi Nakam um Joseph Harmatz das Brot für die Insassen des alliierten Internierungslagers in Nürnberg-Langwasser, zu denen zahlreiche SS-Angehörige zählten, mit einer Arsen-Lösung, woraufhin es 2.283 Erkrankte, aber keine Todesopfer gab. Dabei war der ursprüngliche Plan gewesen, das Trinkwasser in mehreren deutschen Großstädten zu vergiften. Und am 27. März 1952 wiederum explodierte dann im Polizeipräsidium München eine abgefangene Briefbombe der Irgun Zwai Leumi, mit der eigentlich Bundeskanzler Konrad Adenauer ermordet werden sollte.

Weniger bekannt sind hingegen die Versuche zur Ausschaltung mehrerer deutscher Raketeningenieure, die seit 1959 für Ägypten arbeiteten, sowie die mutmaßliche Entführung und Tötung des Waffenhändlers Heinz Krug Anfang der 1960er Jahre durch den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad. Nach Recherchen des Investigativjournalisten Ronen Bergman hat allein der Mossad mindestens 3.000 Menschen auf dem Gewissen. Die Mehrzahl der Opfer waren freilich nicht westliche Ausländer beziehungsweise Persönlichkeiten vom Format Bernadottes, sondern Araber wie jene Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation Schwarzer September, welche 1972 das Olympiaattentat von München verübten.