© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Musks Versprechen wankt
X löscht IB-Konten: Dahinter steckt ein Konflikt mit der Anti-Defamation League in den USA
Lorenz Bien

Kurz nachdem Elon Musk im Oktober 2022 Twitter übernommen hatte, kündigte der Tech-Milliardär an, den Kurzmitteilungsdienst zu einem freien Markt der Meinungen zu machen. Und tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche zuvor gesperrte Accounts wieder freigeschaltet, darunter jene von Persönlichkeiten wie Donald Trump oder Kanye West. Damit wuchs auch die Hoffnung bei der in den sozialen Medien wegzensierten Identitären Bewegung (IB). Doch dann das: Kurz nachdem es in Bayern, Baden-Württemberg und der Schweiz zu Razzien bei IB-Anhängern gekommen war, löschte die mittlerweile in X umbenannte Plattform mehrere IB-Konten wie „Wackre Schwaben“ oder „SachsenGarde“. Ein neues Profil des österreichischen IB-Chefs Martin Sellner war mit als erstes betroffen.

Hintergrund: Die Hausdurchsuchungen gehen auf eine gewaltfreie Protestaktion vor einem Asylbewerberheim im bayerischen Peutenhausen vor über sechs Monaten zurück, bei der mehrere IB-Mitglieder Bengalfeuer zündeten und ein Transparent auf der Straße vor der Unterkunft entrollten, auf dem „Gefährderstandort“ stand. „Den Aktivisten wird Volksverhetzung, Nötigung und fahrlässige Körperverletzung vorgeworfen. Volksverhetzung wegen des Banners mit dem Wort ‘Gefährderstandort’; Nötigung wegen eines Traktors, der wegen der Aktion ein paar Minuten lang gezwungen war, zu warten; und der Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung wird besonders bizarr begründet“, schildert Sellner die Abläufe gegenüber sezession.de. So solle die „leichte Verletzung“ eines Asylanten, der nach einem Bengalo gegriffen hatte, „nun den Aktivisten in die Schuhe geschoben werden“. 

Brisant bei der Zensuraktion auf X, die viel tiefer reicht: Wenige Tage zuvor hatte sich die neue X-Geschäftsführerin, Linda Yaccarino, mit der Anti-Defamation League (ADL) getroffen, dem US-Pendant zur linksradikalen deutschen Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS). Das Gespräch sei „produktiv“ verlaufen, schrieb ADL-CEO Jonathan Greenblatt anschließend. Man habe darüber gesprochen, was „funktioniert und was nicht und in welche Richtung es gehen muß, um den Haß auf der Plattform adäquat zu bekämpfen“. Man werde wachsam bleiben und Elon Musk „loben, sollte das Angebot auf der Seite besser werden“. Eine höflich verpackte Drohung. Seit längerem wirft die ADL X vor, die Verbreitung von Antisemitismus „zu organisieren und zu fördern“. Der ADL-Chef selbst gab zu, im November 2022 Twitter-Werbende zu einer „Pause“ auf der Plattform aufgefordert zu haben.

Greenblatt hatte bis 2014 in der Regierung von Barack Obama mitgewirkt und Donald Trump während dessen Präsidentschaft mehrfach scharf attackiert. Nach eigenen Aussagen setzt sich die 1913 gegründete ADL für Menschenrechte und gegen politischen Extremismus ein. Kritiker werfen ihr allerdings vor, einseitige linkspolitische Kampagnen zu betreiben. Verrät Musk also sein eigenes Vorhaben?

„Das ist inakzeptabel, Elon Musk. Du hattest uns auf dieser Plattform Meinungsfreiheit versprochen, keine totalitäre Zensur, wie sie die ADL propagiert“, kommentierte ein englischsprachiger X-Kanal der IB die Cancel-Eingriffe. Zuvor hatte ein deutscher Aktivist auf X spekuliert, die Einschnitte gingen auch auf einen Konflikt zwischen Neu-Eigentümer Musk und deutschen X-Konzernstrukturen zurück. Nutzen letztere gezielt ihre (insbesondere durch Faktenchecking und Meldewesen) aufgebauten Kontakte zu deutschen und internationalen NGOs – staatliche Richtlinien wie das NetzDG und den Digital Services Act im Rücken –, um sich gegen die von oben angesetzten unliebsamen Veränderungen bei X zu stemmen? Die Ende 2022 veröffentlichten Twitter Files belegen, daß zahlreiche Twitter-Mitarbeiter woke eingestellt sind, mit staatlichen Behörden zusammengearbeitet sowie gezielt Rechte und Konservative zensiert haben.

Natürlich verfolgt die ADL eine eigene Agenda, doch dabei kooperiert sie seit Jahren mit der AAS. So hat die ADL beispielsweise 2019 ihren Bericht „Hate Beyond Borders“ über „The Internationalization of White Supremacy“ zusammen mit der AAS, dem Community Security Trust (Großbritannien), der Expo Foundation (Schweden), dem Observatoire des Radicalités Politiques, Fondation Jean Jaurès (Frankreich) und der Never Again Association (Polen) erstellt. Bildauswahl in der begleitenden Berichterstattung der AAS: ausgerechnet ein Foto von mehreren IB-Fahnen. Einige Forderungen damals: „differenzierte, schnellere Meldemöglichkeiten für die Nutzer*innen“ sowie „neue Optionen und Werkzeuge, wie z.B. differenzierte Sperreinstellungen“ gegen „Hate Speech“.

Der Milliardär kündigt eine Verleumdungsklage an

2022 kamen beim Frauen-Gesprächsnetzwerk „Jüdisches Quartett“ der „Bildungs- und Aktionswochen gegen Antisemitismus“ auch Vertreterinnen von AAS und ADL zusammen. So nahm neben der AAS-Vorstandsvorsitzenden Anetta Kahane auch Dalia Grinfeld an den Diskussionen teil. Die in Stuttgart geborene Grinfeld ist Stellvertretende Direktorin für Europäische Angelegenheiten bei der ADL und darüber hinaus ständiges Mitglied im Expert*innenkreis Antisemitismus des Berliner Senates. 

Erst vergangenen Monat spielte man sich ebenfalls die Bälle gegenseitig zu. So verwies die AAS in einem Hintergrundbericht der eigenen Computerspiele-Initiative „Good Gaming“ über angeblichen „Haß gegen Streamerinnen“ auf „ähnliche Ergebnisse“ der ADL-Studie „Hate is no Game“.

Der Fall X gegen die IB ist im größeren Kontext ein Fall X gegen die ADL und ihre Unterstützer – und der nimmt an Fahrt auf. Musk selbst äußerte auf X Kritik an der ADL: Die Organisation habe in der Vergangenheit wichtige Arbeit geleistet, sei aber mittlerweile von dem „Woke-Virus“ überwältigt worden. Er überlege, die Organisation von X zu verbannen. Mehrere Nutzer hatten ihn unter dem Hashtag #BanTheADL dazu aufgefordert. Sie werden genau auf ihn und die Einhaltung seiner Versprechungen schauen. Tagelang trendete der Hashtag auf X. Wenig später verkündete Musk, „wir haben anscheinend keine andere Wahl, als eine Verleumdungsklage gegen die Anti-Verleumdungs-Liga einzureichen – ach, diese Ironie!“ Sein Vorwurf: Mit falschen Antisemitismusbeschuldigungen versuche die ADL seit seiner Übernahme, „X/Twitter zu killen“, indem sie Druck auf Werbetreibende ausübe. In den USA sei der Werbeumsatz um 60 Prozent eingebrochen. Nun möchte Musk die ADL für bis zu 22 Milliarden US-Dollar haftbar machen – die Hälfte seines Twitter-Kaufpreises. Der 52jährige meint, nur die „Offenlegung aller Dokumente über die gesamte Kommunikation zwischen der ADL und den Werbetreibenden“ könne „die ganze Geschichte“ erzählen.

Greenblatt entgegnete, es sei „zutiefst verstörend“, daß Musk „eine toxische, antisemitische Kampagne auf seiner Plattform“ führe. „Um es klarzustellen: Das eigentliche Problem ist weder die ADL noch die Androhung einer frivolen Klage. Das eigentlich Wichtige ist der Schutz des jüdischen Volkes vor dem wachsenden Antisemitismus.“ 

Doch Musk hat sich weiter aus dem Fenster gelehnt: Gegen Lieblingskonkurrent Mark Zuckerberg stänkerte er bei X, Facebook habe „linksextremen Interessengruppen“, die 2020 die Boykott-Kampagne „Stop Hate for Profit“ gegen das soziale Netzwerk mit angeführt haben, „nachgegeben, und erlaubt ihnen nun gegen Werbegelder stillschweigend die Politik zu diktieren“. Damit legt der Unternehmer die Meßlatte an sich selbst hoch an. IB-Sprecher Sellner zeigt sich gegenüber der JUNGEN FREIHEIT allerdings skeptisch: „Was das deutsche Twitter betrifft, ist die zensurfreie Zeit womöglich vorbei. Wie die IB behandelt wird, ist immer ein guter ‘Gradmesser’ für die allgemeine Entwicklung. Nach Musks Übernahme gab es eine Phase von einigen Monaten, in denen weniger gelöscht wurde. Jetzt, direkt nach einer Großrazzia, gab es eine konzertierte Löschaktion. Es dürfte in diese Richtung weitergehen.“

Mit der ADL im Fokus ist aber ein großer Stein ins Rollen gekommen, der unabhängig von Deutschland und Europa wirken und weite Kreise ziehen kann. „Allein die Sperrung der ADL als Option anzudenken ist eine kleine Revolution. Konsequenterweise müßten hierzulande dann auch die AAS und das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) gesperrt werden“, betont Sellner. Es könne aber auch sein, „daß Musks Anti-Zensur-Linie sich nur auf den englischen Sprachraum und die US-Politik bezieht, wo der politische Druck zur Zensur geringer ist“.