© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 38/23 / 15. September 2023

Der Vater des Vaterlandes
Ausstellung: Das Kulturhistorische Museum Magdeburg zeigt Otto den Großen in der Erinnerung späterer Zeiten
Karlheinz Weißmann

Daß am 7. Mai 973, also vor eintausendfünfzig Jahren, Kaiser Otto der Große starb, ist in der Öffentlichkeit nicht registriert worden. Das überrascht kaum angesichts der Tatsache, daß alles, was mit der Geschichte des Ersten Reiches zu tun hat, mehr oder weniger aus dem Kollektivgedächtnis verschwunden ist. Man könnte auch von einer Rückkehr in jenen Zustand sprechen, der bis zum Ende des 18. Jahrhunderts die Geschichtslosigkeit des Durchschnittsdeutschen bestimmte. Erst mit Aufklärung und Romantik entstand jene Vorstellung von einem Wir, das auch eine eigene Vergangenheit besitzt, die zu erforschen und ins Bewußtsein zu heben eine wichtige Aufgabe der Nationalerziehung wurde.

Triumph über die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld

Wie sich diese Veränderung vollzog, ist ein entscheidender Aspekt der Ausstellung, die momentan das Kulturhistorische Museum Magdeburg zeigt. Unter dem Titel „Welche Taten werden Bilder? – Otto der Große in der Erinnerung späterer Zeiten“ werden hier Illustrationen und Gemälde sowie einzelne Skulpturen präsentiert, die sich alle in der einen oder anderen Weise auf jenen Herrscher beziehen, mit dessen Regierungszeit das Ostfränkische in das Römisch-Deutsche Reich überging. Ottos außerordentliche Bedeutung hat selbstverständlich schon der Beiname „der Große“ markiert, aber eine präzise Vorstellung seiner Rolle war damit nicht verbunden.

Das galt auch für das eindrucksvollste Ereignis seiner Herrschaft, den Triumph über die Ungarn in der Schlacht auf dem Lechfeld 955. Denn das Geschehen interpretierte man lange als lokales mit Bezug auf die nahe gelegene Stadt Augsburg oder als Beweis für den Beistand himmlischer Mächte im Kampf gegen die Heiden. Das änderte sich durch eine wissenschaftliche Geschichtsschreibung, die die politische wie militärische Bedeutung der Lechfeldschlacht hervorzuheben begann und sehr rasch mit dem Patriotismus in Verbindung trat, der sich aus dem Widerstandswillen gegen die napoleonische Unterdrückung speiste.

Eine zentrale Bedeutung nehmen in der Ausstellung deshalb die großen Historienbilder ein, die seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, darunter die Gemälde von Philipp Veit, Moritz von Schwind und Michael Echter, die den Triumph Ottos über die Ungarn thematisierten. Aufschlußreich ist in dem Zusammenhang auch der Hinweis auf das Interesse des Freiherrn vom Stein an diesem Thema. Für ihn war die Allianz der deutschen Stämme unter Otto im Kampf gegen den äußeren Feind ein Modell für das Bündnis der Einzelstaaten im Kampf gegen Napoleon, die Schlacht auf dem Lechfeld eine Art Präfiguration der Völkerschlacht bei Leipzig von 1813.

In der Folgezeit ist dieses Muster nur noch variiert, aber selten in Frage gestellt worden. Das gilt nicht zuletzt für die Zeit nach der Gründung des Zweiten Reiches 1871. Dabei ging es vor allem darum, dessen „großpreußischen“ Charakter in Richtung auf die Einbettung in die gesamtdeutsche Geschichte zu überwinden. Am Beginn der Ausstellung in Magdeburg wird deshalb eine verkleinerte Version jener Statue Ottos des Großen gezeigt, die ursprünglich zusammen mit denen anderer mittelalterlicher Herrscher in der Wandelhalle des Reichstags zu sehen war. Das so etablierte Konzept der Nationalgeschichte wurde auch nach dem Ende des Kaiserreichs beibehalten. Allerdings blendete man deren christliche Dimension in der NS-Zeit aus, was in Magdeburg zwar erwähnt, aber nicht weiter analysiert wird. Eine Lücke, die um so bedauerlicher ist, als mit Werner Peiners Entwurf eines Bildteppichs für die Marmorgalerie der Neuen Reichskanzlei, der die Lechfeldschlacht darstellen sollte, ein Beispiel für die neuerliche Verschiebung der Perspektive zur Verfügung gestanden und zudem die Möglichkeit geboten hätte, auf die „restaurative“ Tendenz in der Bundesrepublik während der fünfziger Jahre Bezug zu nehmen. Ein Blick in die Schulbücher und Unterrichtsmaterialen wäre aufschlußreich gewesen, schon weil die Lechfeldschlacht in der Ära Adenauer zum Anlaß genommen wurde, um einen Ansatz für die Vorstellung zu gewinnen, daß es wie zu Zeiten Ottos darum gehe, den Westen oder das Abendland gegen die Bedrohung aus dem heidnischen, jetzt kommunistischen, Osten zu verteidigen.

Die Ausstellung „Welche Taten werden Bilder? – Otto der Große in der Erinnerung späterer Zeiten“ ist noch bis zum 8. Oktober im Kulturhistorischen Museum Magdeburg, Otto-von-Guericke-Straße 68-73, täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, Sa./So. bis 18 Uhr, zu sehen. Der empfehlenswerte Katalog (Schnell + Steiner, 224 Seiten, zahlreiche Abbildungen) kostet 35 Euro.

 www.khm-magdeburg.de